Wie war das mit dem „Comeback der Babys“? Dass ein Wiederanstieg der Geburtenraten in den kinderarmen Ländern Mittel- und Südeuropas kurz bevor stehe – mit dieser Prognose wurden über Jahre Demographen in Leitmedien zitiert (1). Die positive Botschaft kam in der Öffentlichkeit gut an. Erfreut waren besonders engagierte Befürworter eines Ausbaus der Ganztagskinderbetreuung, denen die Forscher bescheinigten, die Weichen für die Zukunft genau richtig zu stellen (2). Der Erfolg dieser Politik sollte sich auch in steigenden Geburtenraten zeigen. Davon ist nichts zu sehen: In Deutschland verharrt die Fertilität auf dem seit Jahrzehnten bekannten niedrigen Niveau. Wenigstens ist die Lage in Mitteleuropa stabil, im Süden Europas sind die Geburtenraten seit 2007/2008 aber deutlich gefallen. Die Eurokrise ist dort in den Kreißsälen angekommen (3). Das betrifft besonders Portugal, wo die Geburtenzahlen 2012 auf einen historischen Tiefstand fielen, der die portugiesische Öffentlichkeit schockierte (4).
Die optimistischen Prognosen hatten die Finanz- und Schuldenkrise nicht auf der Rechnung. Sie aber hat in Südeuropa zu einer Rezession geführt, in der die Arbeitsmärkte geradezu kollabiert sind.Im Falle Portugal ist die Arbeitslosigkeit innerhalb weniger Jahre um das Dreifache gestiegen (5). Besonders hart trifft sie die Jungen, die in Südeuropa traditionell lange im Elternhaus bleiben. Mangels Arbeit, Einkommen und Wohnung sind sie nun noch länger, oft bis in das vierte Lebensjahrzehnt, von den Eltern abhängig – „Hotel Mama“ wird zur Dauernotunterkunft (6). Für Partnerschaft, Heirat und Familiengründung ist das schlecht:Viele junge Menschen bleiben Singles; ausgerechnet die einst „katholischen“ Länder Südeuropas sind heute die Schlusslichter Europas bei den Eheschließungen (7). Und wenn sich zwei Südeuropäer doch als Paar gefunden haben, entscheiden sie sich oft erst spät für Kinder, nirgendwo sonst in Europa sind Mütter bei der Geburt ihrer (ersten) Kinder so alt wie Spanien und Italien. Je später Frauen aber ihr erstes Kind bekommen, desto unwahrscheinlicher wird es, dass mehrere weitere Kinder folgen. Von dem früheren Kinderreichtum Südeuropas ist deshalb kaum mehr etwas zu bemerken: Familien mit drei und mehr Kindern sind selten geworden. Wenn nun Paare in der Krise die Entscheidung für Kinder in der Hoffnung auf „bessere Zeiten“ verschieben, wird es künftig noch weniger solcher Mehrkinderfamilien geben. Damit verfestigt sich die niedrige Fertilität im Süden, ihr Wiederanstieg erscheint geradezu utopisch.
Anlass für die einst optimistischen Prognosen war die Geburtenentwicklung in den Jahren vor der Finanzkrise: In vielen, wenn auch nicht allen, Industrieländern waren die Geburtenraten in den Jahren 2000-2008 angestiegen (8). Damals glaubten nicht wenige, dass sich der positive Trend fortsetzen würde. Dieser Optimismus passte zu dem damaligen gesellschaftspolitischen Paradigmenwechsel in Europa: Die geschlechteregalitäre Doppelverdiener-Familie mit „professionell“ betreuten Kindern sollte als neues Leitbild „traditionelle“ Ehe- und Familienmodelle an den Rand drängen. Mit dem Abschied von „antiquiertenRollenmustern“ würde es Frauen, so glaubte man, leichter fallen, sich für Kinder zu entscheiden. Niedrige Geburtenraten erschienen als Ausdruck von zu wenig Geschlechtergleichstellung, einer zu starken Bedeutung der Ehe etc., kurz eines „Modernisierungsrückstands“ (10). Ein solcher Rückstand wird Südeuropa noch immer gern attestiert. Dabei widerlegen die Fakten längst das Klischee, besonders für Portugal: Hier ist die Ganztagskinderbetreuung gut ausgebaut und die Mütter sind oft in Vollzeit berufstätig (11). Die Institution der Ehe hat für die Familiengründung stark an Bedeutung verloren, was sich in einem Anteil von 45 Prozent nichtehelichen Geburten niederschlägt. Das sind mehr als in Finnland, was schlaglichtartig den rasanten Umbruch in Südeuropa zeigt (12). Verantwortlich für die Geburtenmalaise im Süden ist also nicht ein Zuwenig an „Modernisierung“, sondern eher ein Zuviel und damit ein dramatischer Verlust an sozialer Stabilität und Verlässlichkeit.