Vor einem pandemiebedingten „Rückfall in alte Rollenmuster“ wird seit dem ersten „Lockdown“ vor etwa einem Jahr beständig in allen tonangebenden Medien gewarnt und zum Weltfrauentag auch von der Kanzlerin persönlich. Tatsächlich belasten die Kita- und Schulschließungen besonders Mütter, die Kinderbetreuung und „Homeschooling“ zu organisieren haben. Fast drei Viertel aller Mütter mit einem Kind unter 18 Jahren sind erwerbstätig, haben also die Doppelbelastung von Job und Familienarbeit zu schultern. Neben dem Betreuungsproblem treibt insbesondere das „Homeschooling“ Mütter in die Verzweiflung. Viele von ihnen arbeiten zudem in Dienstleistungsberufen, die besonders unter dem Virus zu leiden haben. In der Altenpflege, in Erziehungsberufen und der Sozialarbeit sind mehr als 80 Prozent, unter den Lehrkräften an den Schulen mehr als 70 Prozent Frauen (1).
Gerade diese Fürsorge- und Erziehungsberufe, deren Tätigkeiten dem „Sozial Distancing“ per se widersprechen, waren besonders oft von Corona-Erkrankungen betroffen, zeigten Analysen der Krankenkassen bereits im Spätherbst 2020 (2). Trotzdem mussten Erzieherinnen auch in Zeiten höchster Infektionszahlen in der „Notbetreuung“ weiterarbeiten (3). Impfangebote für Erzieher und Lehrer wurden aber erst im Februar ein öffentliches Thema, nachdem das „Hochfahren“ von Kindertagesstätten und die Wiederöffnung von Schulen bereits beschlossen war. Allein das zeigt die Geringschätzung von Erziehungs- und Fürsorgearbeit.
Nichts zeigt die Verachtung der Fürsorgearbeit („care“) aber deutlicher als die Warnungen vor „alten Rollenmustern“, vor denen die vollerwerbstätige Mutter bewahrt werden soll. Denn verwarnt werden nicht primär die Männer, die mehr „Hausarbeit“ übernehmen sollen. Die Politpädagogik richtet sich vor allem an Frauen, die ermahnt werden, ihre Kinder in institutionelle Betreuung zu geben, selber möglichst vollzeitig erwerbstätig zu sein, „Karriere“ zu machen und mehr „Führungspositionen“ zu übernehmen. Es sind dies typischerweise die Forderungen von Frauen, die selbst Karriere gemacht haben und leitende Positionen in Politik, Verwaltung und vor allem Medien innehaben.
Besonders bei der Frage der Teilzeitarbeit zeigt sich, dass die politischen Ziele dieser Elite den Lebensvorstellungen der meisten Mütter zuwiderlaufen. In Politik und Medien wird die verbreitete Teilzeitarbeit als „Falle“ für Frauen beklagt und mehr Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern gefordert. Passend dazu stellt das Statistische Bundesamt zum „Internationalen Frauentag“ dar, dass die Mütter von Kindern unter zwölf Jahren in Deutschland zwar häufiger erwerbstätig seien (71,2 %) als im EU-Durchschnitt (68,0%), aber „fast doppelt so häufig“ in Teilzeit arbeiten (66,7%) wie im EU-Durchschnitt“ (34,9%) (4). Auch hier wird wieder der Eindruck vermittelt, dass deutsche Frauen immer zu wenig erwerbstätig seien.
Das Gegenteil zeigt eine andere Mitteilung der Statistiker: Demnach hatte Deutschland 2018 nach Schweden und Litauen die dritthöchste Erwerbstätigenquote von Frauen in der Europäischen Union. Sie lag höher als in Großbritannien und als in Frankreich, das noch immer als Vorbild in der „Vereinbarkeit“ von Beruf und Familie gilt (5). Dass die hohe Frauenerwerbsquote mit einer hohen Teilzeitquote einher geht, ist keine deutsche Besonderheit, sondern typisch für Länder mit hohen Frauenerwerbsquoten. Andere Beispiele sind Österreich und die Niederlande, wo die Teilzeitquoten noch höher sind (6). Den Gegenpol dazu bilden Länder wie Griechenland mit niedrigen Erwerbsquoten (auch der Männer), die auch wenig Teilzeitarbeitsmöglichkeiten anbieten, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschwert.
Gerade in wohlhabenden Ländern mit, bis zur Corona-Krise, relativ gut funktionierenden Arbeitsmärkten ist Teilzeitarbeit weit verbreitet (7). Hier haben Frauen gewisse Optionen, die nicht immer den Wünschen der Gleichstellungspolitikerinnen entsprechen. Mütter ziehen die Teilzeit- der Vollzeiterwerbstätigkeit oft vor, selbst wenn Betreuungsplätze vorhanden sind (8). Kinder zu erziehen erfordert eben Zeit und Kraft. Wie systemrelevant die Familienarbeit ist, hat sich gerade in der Corona-Pandemie gezeigt. Dass diese Arbeit nicht nur nicht anerkannt, sondern auch noch als „Rückfall in alte Rollenmuster“ verunglimpft wird, zeigt einen bedenklichen Verlust an Realitätssinn und Menschlichkeit. Es ist de facto ein Rückfall in alte Klischees.