Die Regierungen Ostmitteleuropas haben in der deutschen Presse einen schlechten Ruf, besonders beliebte Feindbilder sind Orban und die Kaczynski-Regierung. Anstoß erregt insbesondere ihre Weigerung, Immigranten aus muslimischen Ländern aufzunehmen. Immer wieder wird ihnen vorgehalten, dass sie selbst von der Freizügigkeit in der Europäischen Union profitieren würden und gerade deshalb kein Recht hätten, Migration abzulehnen. Die Perspektive in Ostmitteleuropa, insbesondere in Ungarn und Polen ist genau gegenteilig: Gerade weil in den letzten beiden Dekaden hunderttausende Landsleute ausgewandert sind, lehnt man Immigration als Lösung demografischer Probleme ab. Um möglichst kurzfristig den zunehmenden Fachkräftemangel zu beheben, setzt man eher darauf, Auswanderer zurückzuholen (1).
Langfristig soll der Erhalt der Nation und des Staatsvolks durch eigenen Nachwuchs gesichert werden. An Nachwuchs mangelt es diesen Gesellschaften allerdings, weil die Geburtenraten im Zuge des Transformationsschocks vom Kommunismus zur Marktwirtschaft eingebrochen sind. Dabei fielen die Geburtenraten zeitweilig auf extrem niedrige Werte unter 1,2 Kinder pro Frau in den 1990er und den Nullerjahren. Doch seitdem haben sich die Geburtenraten wieder etwas erholt, auch wenn sie nach wie vor auf (zu) niedrigem Niveau geblieben sind (2).
Markant gestiegen sind die Geburtenraten in Tschechien. Das Beispiel ist besonders interessant, weil die tschechische Politik in bewusster Abkehr von sozialistischen Konzepten nicht auf Krippenausbau, sondern auf die direkte Unterstützung von Familien, insbesondere durch Erziehungsgelder, setzt. Nach den in Deutschland in Politik und Medien etablierten Maßstäben bzw. Vorurteilen ist das genau die falsche Politik, weil sie angeblich veralteten Familienbildern verhaftet sei (3). Trotzdem sind die Geburtenraten in Tschechien nicht niedriger, sondern höher als in Ostdeutschland und westdeutschen Großstädte, wo die öffentliche Kleinkindbetreuung und möglichst ununterbrochene Erwerbstätigkeit beider Eltern als ultima ratio gilt.
Das ist in Ostmitteleuropa anders: Die Erwerbstätigkeit von Müttern war in sozialistischen Zeiten ein staatliches Diktat, von dem sich nicht wenige Familien gerne emanzipieren, wenn es ihre wirtschaftlichen Umstände erlauben. So hat die Einführung eines neuen, deutlich großzügigeren Kindergeldes durch die Kaczynski-Regierung dazu geführt, dass sich Mütter aus schlecht bezahlten Jobs (z. B. Kassiererin) zurückgezogen haben. Auch sind die Geburtenzahlen zuletzt deutlich gestiegen. Vorbild für die polnischen Nationalkonservativen ist in vielem die Orban-Regierung, die schon länger auf eine großzügige Familienförderung setzt (4)
In Ungarn war die Geburtenentwicklung lange Zeit besonders ungünstig, das gilt auch für die Regionen der Nachbarländer (z. B. der Südslowakei), wo überwiegend Ungarn leben. Erklärtes Ziel der Orban-Regierung ist es, die ungarische Nation zu erhalten, die sich über Sprache, Kultur und eben auch über Abstammung definiert (5). Aus dieser Grundhaltung heraus lehnt die Orban-Regierung auch den „Migrationspakt“ der Vereinten Nationen ab. Sie sieht in der dort vertretenen einseitig positiven Sicht der Migration eine Gefahr für die Souveränität Ungarns. Dass die nationale Souveränität gerade Ländern wie Ungarn und Polen besonders wichtig ist, die lange unter kommunistischer Fremdherrschaft gelitten haben, kann eigentlich niemand wundern. Das in deutschen Medien üblich gewordene Ostmitteleuropa-Bashing dagegen zeugt von Geschichtsvergessenheit.