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Null problemo? Die Schattenseiten der Migrationsfreizügigkeit

By 23. November 2014März 14th, 2022No Comments

Sind die Schweizer fremdenfeindlich, gar rassistisch und völlig irrational? Diesen Eindruck erweckten die Medienberichte zur Volksabstimmung gegen Zuwanderung, die im Februar 2014 eine Mehrheit fand, obwohl viele Politiker, Wirtschaft und Medien die Abstimmung entschieden bekämpften. In diesen Tagen steht in der Schweiz die nächste, noch weitergehende Antizuwanderungsinitiative zur Abstimmung –  initiiert von Ökologen, die sich gegen Bevölkerungswachstum und „Dichtestress“ wenden. Das klingt martialisch und mancher Unterstützer mag auch tatsächlich von fremdenfeindlichen Ressentiments getrieben sein. Aber das allein erklärt nicht den Zuspruch zu den Anti-Migrationsinitiativen aus breiten Bevölkerungskreisen. Denn das Problem ist nicht das „falsche Bewusstsein“ der Schweizer, wie manche Medien insinuieren, sondern die geografische und demografische Lage ihres Landes (1).

Eingezwängt zwischen Alpen und Jura konzentriert sich die Bevölkerung im Schweizer Mittelland, das außerordentlich dicht besiedelt ist. Die Bevölkerungszahl pro km² übersteigt dort das Niveau der Niederlande, die traditionell das am dichtesten besiedelte Land Europas ist (2). Diese Besiedlungsdichte belastet die Umwelt und die Infrastruktur, sie führt zu überfüllten Straßen und Bahnen und verteuert den Wohnraum, was besonders die Mittelschicht bedrängt. Und diese Probleme nehmen ständig zu, denn die Bevölkerung wächst stark: Mit 5% pro Jahr verzeichnete die Schweiz seit 2009 den stärksten Einwohnerzuwachs in Europa, noch vor Schweden (4%), Belgien (4,0%) und Großbritannien (3,5%) (3). Bevölkerungswachstum kann auf zwei Wegen zustande kommen: Zum einen durch einen Überschuss an Geburten nach Abzug der Sterbefälle und zum anderen durch Zuwanderung. Beide Faktoren spielen in diesen Ländern eine Rolle, in der Schweiz fällt aber die Zuwanderung besonders ins Gewicht. Die Schweiz ist wesentlich geburtenschwächer als Großbritannien, Skandinavien oder die Benelux-Staaten. Ähnlich wie in Deutschland liegt die Geburtenrate mit ca. 1,5 Kindern pro Frau schon länger weit unter dem Generationenersatz. Dass die Schweiz trotzdem noch Geburtenüberschüsse verzeichnet liegt daran, dass viele junge Menschen einwandern, die dann in der Schweiz Kinder bekommen (4).

Das Bevölkerungswachstum in der Schweiz beruht auf Zuwanderung, ohne diese würde ihre Bevölkerung (längerfristig) schrumpfen. Die starke Wirtschaft der Schweiz braucht Zuwanderer als Arbeitskräftenachschub. Aber die Normalbürger haben andere Interessen als die Wirtschaft, nicht zuletzt das Bedürfnis, sich in ihrer Heimat nicht als Fremde zu fühlen. Das ist keine Eigenart der Schweizer, das Unbehagen an „Überfremdung“ gibt es in allen Zuwanderungsländern in Europa (5). In den Medien und im Mainstream der Politik werden diese Sorgen als „reaktionär“ oder gar „rassistisch“ abgekanzelt; ihnen entgegengesetzt werden Kampagnen, die für „Weltoffenheit“ und „Toleranz“ werben. Ihnen sekundiert die Wirtschaft, die mehr „qualifizierte“ Zuwanderer haben will, um ihren Arbeitskräftenachschub zu sichern (6). Obwohl die Schweiz besonders hochqualifizierte Arbeitskräfte anzieht, überzeugt diese „Bewusstseinsarbeit“ nicht einmal dort die Bevölkerungsmehrheit. Noch viel weniger überzeugend ist sie, wenn geringer qualifizierte Zuwanderer kommen. Und das ist oft der Fall, wie in Deutschland die Anteile von Hartz-IV-Beziehern zeigen, die bei Zuwanderern weit über dem Niveau der Einheimischen liegen (7).

Die Belastung der Sozialsysteme aber ist nur eines der Probleme starker Zuwanderung, ein anderes ist der Lohndruck nach unten durch den Zustrom billiger Arbeitskräfte. Dieses Problem betrifft – trotz Mindestlohns – besonders Großbritannien, das – bezogen auf die Bevölkerungszahl – (Stand 2012) so viele Zuwanderer zu integrieren hat, wie kein anderes Land in Europa (8). Viele dieser Zuwanderer kommen aus dem Südosten Europas (z. B. Rumänien), der unter Abwanderung, ja Entvölkerung, leidet (9). Diese Schattenseiten der Migration scheinen Brüssel wie Berlin ignorieren zu wollen. Wer – wie die Briten – am Dogma der „Arbeitnehmerfreizügigkeit“ rührt, wird als Europafeind stigmatisiert. Wer aber permanent die Alltagsprobleme der Menschen ignoriert, sollte sich nicht wundern, wenn alltägliche Menschen Parteien wählen, die sich ihrer Sorgen auch annehmen.

(1)  Exemplarisch für eine solche Berichterstattung: http://www.zeit.de/2014/45/ecopop-initiative-schweiz-rezepte-gegen-angst. Etwas sachlicher: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/die-schweiz-stimmt-ab/ecopop-initiative-die-schweiz-saegt-am-eigenen-ast-13278978-p2.html.
(2)  Vgl.: Bevölkerungsdichten in Europa (Abbildung).
(3)  Wachstum und Schrumpfung in Europa (Abbildung).
(4)  Zur natürlichen Bevölkerungsentwicklung in Europa vgl. Eurostat: Rate der natürlichen Bevölkerungsveränderung, http://epp.eurostat.ec.europa.eu/tgm/table.do?tab=table&init=1&language=de&pcode=tps00007&plugin=1.
(5)  Das gilt sogar für Schweden, das viele als Vorbild an Humanität und Weltoffenheit ansehen, wie der Wahlerfolg der „Schwedendemokraten“ zeigt.
(6)  Kritisch zu dieser Argumentation:  iDAF-Newsletter der Wochen 35-36 / 2010, Scheinlösung Zuwanderung: Kurzfristig Profit, langfristig Probleme, http://altewebsite.i-daf.org/329-0-Wochen-35-36-2010.html.
(7)  Vgl.: Migrationsherkunft und Risiko des Hartz-IV-Bezugs (Abbildung), in iDAF Nachricht der Woche, 2014/11, 11.06.2014, http://www.i-daf.org/aktuelles/aktuelles-einzelansicht/archiv/2014/06/11/artikel/zuwanderung-fakten-und-mediale-nebelkerzen.html.
(8)  Vgl.: Haupteinwanderungsländer Europas (Abbildung).
(9)  Vgl.: Wachstum und Schrumpfung in Europa (Abbildung).
(10)       Charakteristisch dafür waren die Reaktionen der Bundeskanzlerin auf den jüngsten Vorstoß David Camerons zur Begrenzung der Zuwanderung aus Europa nach Großbritannien: http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-10/eu-einwanderung-merkel-cameron.