Sind „gesellschaftlich vorherrschende Rollenmodelle“ dafür verantwortlich, dass Maurer fast immer männlichen Geschlechts sind? Solche Ansichten müssen Arbeitsmarktforscher heutzutage vertreten, denn auf „natürliche“ Unterschiede zwischen Männern und Frauen dürfen sie nicht rekurrieren (1). Das verbietet die Weltanschauung des „Gender Mainstreaming“, die die Geschlechter als „künstliches Konstrukt“ verstehen will. Sie sieht alle geschlechtsspezifischen Differenzen als Ausdruck einer „Geschlechterhierarchie“, die Frauen notorisch diskriminiere (2). Als ihr Maßstab gilt vor allem das Geld – „Gender Pay Gap“ lautet das Schlagwort. Es misst den Gehaltsabstand zwischen Männern und Frauen. Es wird oft Skandal rufend fehlinterpretiert, so als ob Frauen für die gleiche Arbeit weniger Lohn bekämen als Männer. Eine solche Lohndiskriminierung wäre rechts- und tarifvertragswidrig. Es mag sie zwar in Einzelfällen geben, sie erklärt aber nicht das „Gender Pay Gap“. Dessen Ursachen sind erwiesenermaßen andere: Erwerbsunterbrechungen für Kindererziehung und Pflege, Teilzeitarbeit, weniger Führungspositionen und andere, zum Teil schlechter bezahlte Berufe als bei den Männern (3). Einschlägige Beispiele dafür sind Arzthelferin, Kindergärtnerin oder Altenpflegerin.
Danach befragt, warum sie diese Berufe wählen, antworten junge Frauen oft, dass sie „mit Menschen“ zu tun haben wollen. Spiegelbildlich dazu sind Frauen in Technikberufen unterrepräsentiert: Elektroinstallateure und Maschinenschlosser etwa sind zu mehr als 90% männlichen Geschlechts (4). Generell arbeiten Frauen eher im Dienstleistungs- und Verwaltungssektor, Männer eher in Produktionsberufen. Das hat sich nicht verändert: Der Frauenanteil in Produktionsberufen ist seit den 1970er Jahren sogar gesunken, während er in den Verwaltungs- und Dienstleistungsberufen zugenommen hat. Hier stellen Frauen inzwischen die Mehrheit (ca. 60%) der Beschäftigten, während ihr Anteil in der „Produktion“ unter einem Fünftel liegt (5). Benachteiligt durch diese „Geschlechtersegregation“ sind nicht die Frauen, sondern eher die Männer. Denn die männerdominierten Produktionsberufe haben mit dem industriellen Strukturwandel an Bedeutung verloren (6). Männer sind die Verlierer des Strukturwandels, wie die Erwerbstätigenzahlen belegen: Seit Beginn der 1990er Jahre ist die Zahl ihrer Vollzeitstellen um etwa zwei Millionen zurückgegangen. Die Zahl der Frauenvollzeitarbeitsplätze ist dagegen etwa gleich geblieben. Außerdem ist die Zahl der Teilzeitarbeitsplätze stark gewachsen, sie hat sich fast verdreifacht (7). Das ist ein, gern übersehener, Schlüsselfaktor für das „deutsche Beschäftigungswunder“. Die bezahlte Arbeitszeit, das sog. Erwerbsvolumen, liegt heute mehr als zwei Milliarden Stunden niedriger als zu Beginn der 1990er Jahre (8). Dass die Beschäftigtenzahlen heute neue Rekorde erreichen, ist nur durch die Teilzeitarbeit möglich.
Von der Expansion der Teilzeitarbeit profitieren Frauen, die Familie und Beruf vereinbaren wollen. Dennoch denunzieren Gleichstellungsadvokat(innen) die Teilzeitarbeit als „Falle“ für Frauen. Sie können es nicht akzeptieren, dass sich viele Frauen für Kindererziehung, Teilzeitarbeit, Fürsorgeberufe und damit für vermeintlich „antiquierte“ weibliche Lebensentwürfe entscheiden (9). Zu ihrem Leidwesen halten sich die vermeintlichen „Stereotypen“ aber hartnäckig, auch bei den Hochqualifizierten: Während in der Elektrotechnik fast nur Männer arbeiten, entwickelt sich die Medizin zu einer Frauendomäne. Dass die Gleichberechtigung nicht zu Gleichförmigkeit, sondern zu neuer Differenzierung führt, können die Anhänger des „Gender Mainstreaming“ nicht tolerieren. Aus ihrer Sicht werden junge Menschen, besonders Mädchen, durch „einengende Rollenbilder“ verführt, von denen sie durch Aufklärung über ihre „wahren“ Interessen emanzipiert werden müssen (10). Der Staat soll die Menschen erziehen, „habit formation“ nennen das Regierungsberater (11). Hier zeigt sich ein Paternalismus, der den Menschenverstand und freien Willen der Normalbürger missachtet. Ob sich die Bürger diese Bevormundung dauerhaft gefallen lassen, ist eine offene Frage, auch und besonders im Blick auf die Entwicklung der Europäischen Union.