In der Corona-Krise entdeckt die Bundesregierung Konstruktionsfehler des Elterngeldes: Familienministerin Franziska Giffey plant nach Medienberichten einen anderen Berechnungsmodus des Elterngeldes, damit die Einkommenseinbußen infolge der Wirtschaftskrise nicht (voll) auf das Elterngeld durchschlagen. Corona-Krisen-Monate sollen deshalb nicht mehr in die Berechnungsgrundlage des Elterngeldes einbezogen werden, denn dieses richtet sich nach dem Erwerbseinkommen der letzten zwölf Monate vor der Geburt des Kindes (1). Bei Müttern und Vätern, die das Elterngeld jetzt oder demnächst beantragen und wegen der Krise Einkommenseinbußen hinnehmen müssen, sollen die entsprechenden Monate nicht mit in die Berechnung einfließen. Geplant sind auch Anpassungen beim Elterngeld für Mütter und Väter, die in sogenannten systemrelevanten Berufen arbeiten. Wenn diese wegen der aktuellen Lage ihre Elterngeldmonate nicht nehmen können, sollen sie diese verschieben können. Auch die Regeln beim Partnerschaftsbonus – eine zusätzliche Leistung, die Mütter und Väter bekommen, die gleichzeitig Teilzeit arbeiten, um sich die Kindererziehung zu teilen – könnten gelockert werden, wenn Teilzeit momentan so nicht einzuhalten ist (2).
Das Elterngeld ist eine Lohnersatzleistung, die nach dem Vorbild der Arbeitslosenversicherung konstruiert wurde. Für Mütter, die vor der Geburt des Kindes nicht erwerbstätig waren, gibt es nur einen schmalen Sockelbetrag (300 € plus ggf. 75 € Geschwisterbonus). Für sie herrscht immer Flaute, auch ohne Corona-Krise. Dieser Sockelbetrag war ursprünglich im Plan der damaligen Familienministerin von der Leyen nicht vorgesehen, er kam erst durch den Protest vor allem in der Unionsfraktion in das Gesetz. Erziehungsleistung zählte trotz des Betreuungsurteils des Bundesverfassungsgerichts (fast) nichts, wie auch die Diskussion um das Betreuungsgeld in den Jahren 2006-8 zeigte. Es zählte vor allem die Erwerbstätigkeit, sie ist nach einem Wort von Norbert Bolz „der gesellschaftliche Attraktor, der alles andere strukturiert“ (3).
Diese Benachteiligung nichterwerbstätiger Mütter ist das Programm der „neuen Familienpolitik“ der Ära Merkel mit dem zentralen Ziel der kontinuierlichen Erwerbstätigkeit von Müttern und der möglichst umfassenden Staatsbetreuung der Kinder. Schon vor der Einführung des Elterngeldes wurde davor gewarnt, dass diese vermeintliche Wohltat junge Mütter (besonders Studentinnen), Mütter mit mehreren kleinen Kindern und generell kinderreiche Familien krass benachteilige (4). Nach seiner Einführung haben dies Auswertungen der statistischen Daten dann auch immer wieder bestätigt (5). Die verantwortlichen Politiker hat dies nicht interessiert, sie waren und sind offen bar auch heute auf die Steigerung der Müttererwerbstätigkeit fixiert.
Jetzt in der gerade erst beginnenden, womöglich tiefsten, Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit, trifft diese Ideologie auf die raue Wirklichkeit von Rezession, Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit. Wie ein erwerbsabhängiges Elterngeld in einer Rezession wirken kann, hat sich in Schweden schon zu Beginn der 1990er Jahre gezeigt: Es kam zu einem massiven Aufschub von Familiengründungen und einem drastischen Rückgang der Geburtenrate (6). Im benachbarten Finnland blieb die Geburtenrate dagegen stabil. Dort zahlte der Staat ein Betreuungsgeld für die häusliche Erziehung von Kleinkindern, das mehr war als ein Taschengeld (327 Euro pro Kind) und das viele Mütter angesichts einer schwierigen Arbeitsmarktlage gern in Anspruch nahmen. Später im Aufschwung fanden diese Frauen neue Jobs, so dass die allgemeine hohe Frauenerwerbsquote in Finnland ebenso erhalten blieb wie die Geburtenrate. Ähnliche Betreuungsgelder wie in Finnland gibt es auch in Frankreich (bis zu rund 500 Euro) und Tschechien. In Deutschland gibt es nur auf Landesebene in Bayern ein Betreuungsgeld (7). Gerade in Krisenzeiten wie jetzt könnte die finanzielle Anerkennung der Erziehungsleistung dazu beitragen, Familien zu stabilisieren und Familiengründungen zu erleichtern. Für die umlagefinanzierten Sozialsysteme wäre das im wahrsten Sinn des Wortes systemrelevant und bestandserhaltend, wie das Bundesverfassungsgericht argumentiert. Es würde sich vermutlich lohnen, das einmal zu evaluieren.