Das Kindergeld ist besser als sein Ruf. Es verbessert spürbar die Einkommenslage von Arbeitnehmern mit Kindern und bewahrt damit viele Familien vor materieller Deprivation und Deklassierung. Ohne das Kindergeld würden mehr als 1,2 Millionen Familien in „Hartz-IV“ abrutschen. So steht es in der „Gesamtevaluation“ führender Wirtschaftsforschungsinstitute (1). Das Kindergeld stabilisiert also Familien mit unterem und mittlerem Einkommen. Von dieser wichtigen, weil gängige Klischees widerlegenden Erkenntnis war von den Wirtschaftsforschungsinstituten im Zuge der medialen Vermarktung ihrer Evaluation aber nichts zu hören. Was ankam, war eine ganz andere Botschaft: Geldleistungen seien eine wenig „effektive“, mithin minderwertige Form der Familienförderung. Das „Eine, was Not tut“, sei mehr Kinderganztagsbetreuung. Die Forscher machten auch klar, was das Leitmotiv ihrer Botschaft ist: Mütter sollen früher, häufiger und länger erwerbstätig sein. „Gut“ sind für sie alle Maßnahmen, die dazu dienen, dass Mütter nach der Geburt ihrer Kinder möglichst früh und möglichst vollzeitlich ihre Berufstätigkeit wieder aufnehmen (2).
Diesem Zweck dient es natürlich, wenn die Kinder in Ganztagseinrichtungen untergebracht werden können. Angeblich sind sie dort besser aufgehoben als bei ihren Eltern: Versprochen werden „Bildungsrenditen“; und damit wird suggeriert, dass es um Vorschulerziehung ginge. Tatsächlich sollen Eltern schon ihre Kleinstkinder, die noch nicht einmal „trocken“ sind, in fremde Hände geben. Viele Eltern wollen ihre Kleinkinder aber selbst betreuen und die moderne Kinderpsychologie gibt ihrer Intuition Recht (3). Auch deshalb war lange Zeit die Wahlfreiheit zwischen Erwerbs- und Familienarbeit ein zentrales Anliegen der Familienpolitik. Ein anderes wichtiges Ziel war es, Eltern die ihnen durch Kindererziehung im Vergleich zu Kinderlosen entstehenden finanziellen Nachteile zu verringern (4). Dem lag die Auffassung zugrunde, dass Kindererziehung kein „Hobby“ der Eltern, sondern, wie das Bundesverfassungsgericht feststellte, eine Leistung ist, die „auch im Interesse der Gemeinschaft liegt und deren Anerkennung verlangt“ (5).
Von diesem Familienlastenausgleich und dem Leitbild der Wahlfreiheit verabschiedeten sich die Ministerinnen Renate Schmidt und Ursula von Leyen mit ihrer sogenannten „nachhaltigen“ Familienpolitik. Ihre Maxime war, dass Mütter erwerbstätig sein müssten – Wahlfreiheit zwischen Familien- und Berufsarbeit sollte es nicht mehr geben. Um diesen Paradigmenwechsel zu legitimieren, gab die Bundesregierung die „Evaluation“ der Familienpolitik in Auftrag. Deren vorgegebenes Ziel war es, eine Umverteilung von den Geldleistungen zur Infrastruktur zu begründen (6). Zu diesem Zweck wurde die Zahl von 180 Mrd. € (neuerdings 200 Mrd. €) Familienförderung in die Welt gesetzt, die seitdem durch die Medien geistert. Auf diese Weise entstand die Legende von einem Füllhorn der Familiensubventionen, die man kürzen müsse, um die Ganztagsbetreuung auszubauen (7). Zu dieser Interessenlage passt die Erkenntnis, dass das Kindergeld viele Familien vor der Degradierung zu Transferbeziehern bewahrt, denkbar schlecht. Die Forscher suchen deshalb nach anderen Argumenten gegen ein höheres Kindergeld: Sie sei „kein gutes Instrument, um die Armutsrisikoquote der Familien zu senken“, weil sie „in erster Linie die Wohlstandsposition von Familien mit mittleren und hohen Einkommen verbessert“ (8). Zählen die Wirtschaftsforscher auch die 1,2 Mio. Familien, die ohne Kindergeld in Hartz IV abrutschen würden, zu den Familien mit mittlerem oder höherem Einkommen? Die Bemerkung zeigt, wie wenig die Forscher den Sinn dieser Leistung verstehen: Das Kindergeld sollte keine Armenfürsorge, sondern eine Ausgleichsleitung für Eltern sein, um ihre Nachteile gegenüber Kinderlosen mit vergleichbarer Soziallage etwas zu verringern. Genau diesen „allgemeinen Einkommenseffekt“ des Kindergeldes bemängeln die Forscher nun als ineffektiv, weil er „keine spezifischen Verhaltensimpulse“ setzt, sprich die Müttererwerbstätigkeit nicht fördert (9). Das bedeutet ja, dass das Kindergeld die Wahlfreiheit der Eltern fördert – so dass diese „Evaluation“ wider Willen bestätigt, dass das Kindergeld seinen Sinn erfüllt. Nach der Logik der Wirtschaftsinstitute gäbe es am besten gar keine Transfers an Familien: Dann wären die Familien zwar viel ärmer, aber dafür die „Arbeitsanreize“ für Mütter höher. Aber Eltern stünden im Vergleich zu Kinderlosen noch viel schlechter da. Einverdienerfamilien aus der Mittelschicht würden in die Armut abrutschen. Kann das der Sinn von Familienpolitik sein?