Politisch mag Deutschland „im Westen“ felsenfest verwurzelt sein, im Liebesleben der Deutschen ist die „Westbindung“ auf dem Rückzug: Heiraten zwischen Deutschen und US-Amerikanern, Briten oder Franzosen sind heute viel seltener als in den 1960er und 70er Jahren. Das gilt besonders für die deutsch-amerikanischen Verbindungen, deren Hoch-Zeit die frühen 1960er Jahre waren: Damals waren viele amerikanische Soldaten in Deutschland stationiert, die einen modernen „way of life“ verkörperten. Das war für viele junge deutsche Frauen attraktiv, die zwar nicht Elvis Presley, aber zu Tausenden weniger prominente US-Amerikaner heirateten. Schon Mitte der 1960er Jahre ebbte dieser Boom ab, innerhalb weniger Jahre halbierten sich die Heiratszahlen, blieben dann bis 1990 konstant und sind nach der Wende weiter zurückgegangen (1). Der auffällige Einbruch der Heiraten mit Amerikanern Ende der 1960er könnte mit dem amerikakritischen Stimmungsumschwung zu Zeiten des Vietnam-Kriegs, vielleicht auch mit ernüchternden Erfahrungen mit Soldaten-Ehen, zu tun haben. Der Rückgang seit der Wende dürfte nicht zuletzt im Abzug von Soldaten aus Deutschland begründet sein.
Für letztere Erklärung spricht, dass nach der Wende auch die Zahl der deutsch-britischen und der deutsch-französischen Ehen zurückgegangen ist. Der Rückgang der deutsch-französischen Ehen muss aber noch andere Gründe haben, denn sie gehen schon seit den 1970er Jahren sukzessive zurück (2). Damals erreichte ihre Zahl das Maximum, das aber auch damals schon bescheiden war. Heute liegt ihre Zahl noch niedriger als zu Beginn der 1960er Jahre, also vor dem deutsch-französischen Freundschaftsvertrag Adenauers und De Gaulles (3). Und dies trotz des jahrzehntelangen Austausches, der nicht nur Politik, Wirtschaft und Kultur, sondern auch das Menschliche und die Jugend umfasst: Partnerschaften zwischen Städten, Kommunen, Schulen etc. führen Deutsche und Franzosen zusammen. Die vielen Begegnungen haben aber nicht zu mehr völkerverbindenden Ehen geführt. Das ernüchternde Bild wird auch nicht besser, wenn man den Wandel der Lebensformen in Rechnung stellt. Zwar hat die Heiratsneigung abgenommen und sich das nichteheliche Zusammenleben ausgebreitet (4). Aber instabile Lebensabschnittspartnerschaften stiften nicht dieselbe Gemeinsamkeit wie Ehen, auch nicht zwischen den Völkern. Und aus stabilen Lebensgemeinschaften werden meistens früher oder später Ehen (5). Geheiratet wird vor allem dann, wenn Kinder kommen (sollen). Binationale Heiraten bleiben deshalb ein guter Indikator für Völker-Verbindungen, die Kinder und damit Zukunft haben.
Aus dieser Sicht bemerkenswert sind die deutsch-türkischen Ehen, die mit großem Abstand die Rangliste der binationalen Ehen anführen (6). Zu ihnen zählen auch Ehen, in denen eingebürgerte männliche „Türken“ Frauen aus der Türkei heiraten. Aber das sind eher Ausnahmen. Denn die Mehrheit der Ehen wird zwischen deutschen Frauen und türkischen Männern geschlossen. Türken sind für deutsche Frauen die bevorzugten ausländischen Ehepartner. Ihnen folgen, mit Abstand, die Italiener. Offensichtlich haben deutsche Frauen eine gewisse Vorliebe für „Südländer“. Die Heiratspräferenzen der Männer richten sich eher nach Osten, insbesondere nach Polen. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1990 haben diese Verbindungen sprunghaft zugenommen; ihre Zahl übertrifft bei weitem die der Ehen mit Frauen aus dem „Westen“ (7). Sicherlich hat das auch Wohlstandsgründe: Für Polinnen ist die Heirat nach Deutschland wirtschaftlich attraktiver als für Frauen aus Großbritannien oder Frankreich. Eine wichtige Rolle spielen auch kulturelle Faktoren, nicht zuletzt Kenntnisse der deutschen Sprache. Auf dieser Ebene der privaten Verständigung bahnt sich eine langsame, aber deutliche „Ostverschiebung“ an (8). Medien und Politik nehmen das (noch) nicht wahr, sie brauchen zum Verstehen der sozialen Realität mal wieder etwas länger.