Kriege vor den Haustüren Europas, Migrationsdruck und Konjunkturabschwung: Die Anzeichen verdichten sich, dass Deutschland keine „Insel der Seligen“ im Krisen-Europa bleiben wird. In solchen Zeiten sind Meldungen willkommen, die wenigstens auf dem Feld der Demografie Entwarnung versprechen. „Sinkende Geburtenraten schaden nicht immer“, wird unter Berufung auf amerikanische Ökonomen vermeldet (1). Das ist zunächst nicht falsch, denn natürlich können sinkende Geburtenraten in Ländern mit starkem Bevölkerungswachstum von Vorteil sein. Exemplarisch dafür ist Schwarzafrika, wo das rasante Bevölkerungswachstum Fortschritt behindert, Armut und Verteilungskonflikte verschärft (2). Der Elendszirkel Afrikas lässt Europa nicht unberührt, das Flüchtlingselend im Mittelmeer ist nur die Spitze des Problembergs. Durch niedrige Geburtenraten in Europa werden diese Probleme nicht geringer (3). Eher verschärft sich die Lage. Ein namhafter Demograph vergleicht die Lage mit zwei Herdplatten: Wenn die eine zu heiß und die andere zu kalt ist, entsteht nichts Wohltemperiertes, sondern Verbranntes auf der einen Seite und ungenießbar Kaltes auf der anderen (4). Die kalte Herdplatte steht für den Verlust an Energie, den Gesellschaften erleiden, wenn ihre Geburtenraten zu niedrig sind.
In Deutschland ist die Herdplatte mit einer Geburtenrate von 1,4 Kindern pro Frau seit den 1970er Jahren eindeutig zu kalt. Dass diese niedrigen Geburtenraten weit unter dem Generationenersatz (zwei Kinder pro Frau) nicht „nachhaltig“ sind, verschleiern Berufsoptimisten seit Jahrzehnten mit Scheinargumenten, die auch die regierungsoffizielle Sprachregelungen von der vermeintlichen „demografischen Chance“ stützen sollen (5). Besonders beliebt ist dabei der Rekurs auf Bevölkerungszahlen und Besiedlungsdichte: Nachwuchsrückgang bedeute „in vielen gesellschaftlichen Bereichen“ einen „Abbau strapaziöser Überfüllung“, behauptete der SPIEGEL schon in den 1970er Jahren (6). Von der verheißenen Entspannung ist bis heute in den westlichen Ballungsräumen nichts zu spüren, in denen sich die Bevölkerung immer mehr konzentriert, die Besiedlung verdichtet und das Leben drängt. Gleichzeitig breiten sich wie Ölflecken Landstriche aus, in denen die Schrumpfung ihr hässliches Gesicht zeigt: Ein Teufelskreis von Strukturschwäche und Bevölkerungsschwund führt in immer mehr Landstrichen Ost- und zunehmend auch Westdeutschlands zu Schulschließungen, Wohnungsleerstand, verödenden Dörfern und Städten.
Entscheidend für diese Wachstums- und Schrumpfungsprozesse ist die Migration, durch die manche Städte, Regionen und Länder (noch) wachsen können, obwohl mehr Menschen sterben als Kinder geboren werden. Genau das erlebt derzeit Deutschland, das hunderttausende Zuwanderer aus Krisenregionen anzieht. Am Kern des demografischen Problems ändert dieses Bevölkerungswachstum aber nichts. Denn worauf es ankommt ist gerade nicht primär die absolute Größe der Bevölkerung, sondern ihre Altersstruktur. In jeder Gesellschaft muss die aktiv erwerbstätige Generation die noch-nichterwerbstätige junge wie die nicht-mehr-erwerbstätige ältere Generation mit unterhalten. Dieser Belastungsquotient ist langfristig am geringsten, wenn die Geburtenrate beim Generationenersatz von ca. 2 Kindern pro Frau liegt (7). Sind die Kinderzahlen wesentlich höher, dann steigen die Lasten für die Erwerbstätigen, weil sie eine wachsende Zahl Jüngerer unterhalten müssen. Das ist das Problem in Schwarzafrika. Liegen die Bevölkerungszahlen hingegen weit unter dem Generationenersatz wie in weiten Teilen Europas, dann müssen immer weniger erwerbstätige Jüngere für einen wachsenden Anteil von Älteren aufkommen (8). Das bedeutet, dass die Erwerbstätigen einen immer größeren Anteil des von ihnen Erwirtschafteten an die Älteren abgeben müssen. Sofern die Bereitschaft der Menschen zum Teilen und zum Verzicht unbegrenzt strapazierbar sein sollte, würde die Alterung der Gesellschaft keine Probleme bergen. Es käme dann nur darauf an, dass der Wohlstand insgesamt wächst, damit es etwas zum Verteilen an die Älteren gibt (9). Nur dann kann man glauben, dass die Alterung kein wirkliches Problem sei, weil Produktivitäts- und Wirtschaftswachstum es schon richten werden. Wenn man aber Solidarität und Moralität der Menschen für eine knappe, nicht unbegrenzt belastbare Ressource hält, dann sollte man eine nachhaltigere Bevölkerungsentwicklung anstreben, die es ohne (mehr) Nachwuchs nicht geben wird.