Donald Trump, der Narzissmus und die deutschen Medien. Ein Gespräch mit dem Narzissmus-Experten Raphael Bonelli
In vielen Medien wurde und wird Donald Trump als Narziss bezeichnet, also als kranker Mann, der sich anschicke, als mächtigster Mann der Welt den Planeten zu regieren. Der österreichische Bestsellerautor, Psychiater, Psychotherapeut und Universitätsdozent Dr. Dr. Raphael M. Bonelli ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Idaf und einer der bekanntesten Experten auf dem Gebiet des Narzissmus. Im Herbst erschien im Kösel-Verlag sein Buch „Männlicher Narzissmus“. Jürgen Liminski hat ihn nach Donald Trumps Zustand und die Diagnosen der Medien befragt.
Ein allgemein in den Medien als Narziss bezeichneter Mann steht jetzt an der Spitze der Weltmacht USA. Ist das gefährlich?
Wenn Trump ein Narziss wäre, wäre das sicherlich nicht ungefährlich. Weil der Narziss sich selbst der Nächste ist und deswegen nicht selbstlos Verantwortung für andere übernehmen kann. Außerdem ist er leicht kränkbar, so im Sinne einer Majestätsbeleidigung, das kann durchaus ungemütlich werden.
Aber man darf in dieser Diskussion nicht vergessen, dass einerseits jeder Mensch narzisstische Anteile hat und andererseits jeder Narziss auch gesunde Anteile. Den Hundertprozent-Narzissten, wie er im Buche steht, gibt es in der freien Wildbahn gar nicht. Und natürlich wird mit dieser Diagnose auch Politik betrieben – um den anderen herabzusetzen. Clinton zeigt übrigens auch einige narzisstische Züge, die sie halt – entsprechend ihrer Wählergruppe – anders präsentiert.
Inwiefern zeigte Hillary Clinton narzisstische Züge?
Clinton verkörpert ein zeitgeistiges Phänomen, das ich als „moralischer Narzissmus“ bezeichnen würde. Dazu muss man verstehen, was Narzissmus ist: Er besteht in der Selbstidealisierung, der Fremdabwertung und der mangelnden Selbsttranszendenz. Der moralische Narziss idealisiert seine Weltanschauung dermaßen, dass diese für ihn immer mehr zur einzig möglichen Meinung, ja zur Wahrheit schlechthin wird. Dadurch wird er dialog- und kompromissunfähig. Er sieht sich als moralisch gut, über jeden Zweifel erhaben, verdrängt jegliches persönliche Fehlverhalten. Deswegen wäre der Begriff „Gutmensch“ oder „Political Correctness“ eigentlich ganz passend, wenn er politisch nicht so vereinnahmt wäre.
Wie geht denn ein „moralischer Narziss“ mit Andersdenkenden um?
Mit Abwertung, dem zweiten Kriterium des Narzissmus. Er ist empört über andere Meinungen, kann es gar nicht fassen, dass jemand so und so denken kann – und vergisst dabei die Grundlage der Demokratie: Wir müssen auch mit denen kommunizieren, die anderer Meinung sind. Kürzlich hat niemand geringerer als Winfried Kretschmann seiner eigenen Partei geraten, das ständige Moralisieren endlich zu lassen. Die Reaktionen seiner Parteigenossen waren – im Sinn einer narzisstischen Kränkung – so heftig, dass er postwendend zurückrudern musste. Der deutsche Sprachraum ist voll von moralischem Narzissmus, auch in den Medien.
Inwiefern in den Medien?
Weil mehr und mehr der Grundsatz der neutralen, fairen Berichterstattung aufgegeben wird zugunsten einer dezidierten Parteinahme und moralischen Belehrung des Lesers. Man hält diesen nicht mehr für fähig, sich eine eigene Meinung zu bilden, sie wird gleich mitgeliefert. Wenn man die deutschsprachige Medienlandschaft bezüglich des US-amerikanischen aber auch des österreichischen Präsidentschaftswahrkampfes kritisch analysiert, so fehlten selten Werturteile in der Beschreibung des offensichtlich unliebsamen Kandidaten oder der unerwünschten Partei. Die Abwertung betrifft übrigens auch den Wähler: er wird als Wutbürger abgewertet, als frustrierter weißer alter Mann, wenig intelligent und ungebildet, und vor allem voller Angst. Soviel Moralinsäure in den Medien ist auf Dauer unbekömmlich. Zu Recht sieht der Grünenpolitiker Kretschmann diese Entwicklung kritisch und sieht sie mitschuldig am Erstarken der AfD in Deutschland, der FPÖ in Österreich und eines politisch inkorrekten Donald Trump in den USA.
Die Welt wurde schon in der Wahlnacht und erst recht in den Tagen danach Zeuge, wie Trump seine Aussagen relativierte bis hin zum Gegenteil oder dem Vergessen. Können Narzissten ihre Meinung relativ rasch ändern?
Dem Narzissten ist nur er selbst wichtig und die Bewunderung, die er für sich in Anspruch nimmt. Sachlichkeit steht im Hintergrund, der Inhalt seiner Politik kann sich dementsprechend wandeln solange er gut dasteht. Der Narzisst tut sich schwer, sich in den Dienst einer höheren Sache zu stellen – das meint die Psychologie mit fehlender Selbsttranszendenz. Der Narziss kann nicht dienen.
Die sogenannte öffentliche Meinung ist eine Art Bewährungsraum für Politiker. Bei seinen ersten Interviews gab sich Trump ziemlich handzahm. Was bedeutet die öffentliche Meinung und mehr noch die veröffentlichte Meinung für Narzissten?
Der Narzisst will bewundert werden, das ist sicherlich ein wichtiger Wesenszug. Aber man könnte diese Zurückhaltung Trumps durchaus auch wohlwollend als Ehrfurcht vor dem Amt, das er unverhofft doch noch ausfüllen darf, verstehen. Trump hat auch nach seinem Sieg respektvoll von Clinton gesprochen und seinen innerparteilichen Gegnern die Hand gereicht – das alles widerspricht der These deutscher Medien vom hundertprozentigen Narzissten.
Es ist viel aus der Ferne über Trump geschrieben, gesagt und gesendet worden. Würden Sie als Psychiater eine Ferndiagnose wagen und wenn ja, wie sähe die aus?
Die US-amerikanische Psychiatergesellschaft APA hat zu Recht in diesem Wahlkampf vor Ferndiagnosen gewarnt. Aber von fern betrachtet macht Trump freilich durchaus den Anschein, dass er eine Menge narzisstische Anteile hat – wie viele andere übrigens auch. Was ihn mehr ausmacht ist die Kunst der Provokation: Dinge auszusprechen die die moralisch-narzisstische Schickeria schon lange als Tabu ausgerufen hat.
Sehen Sie in Deutschland einen Politiker mit auffällig viel narzisstischen Anteilen?
Nicht so nach der plumpen provokanten Art von Donald Trump, dazu ist die politische Klasse in Deutschland dann doch zu kultiviert. Wohl aber findet man viele deutsche Politiker mit dem moralischen Narzissmus einer Hillary Clinton.Ein schillerndes Beispiel dafür wäre Volker Beck. Der hat in den achtziger Jahren die Entkriminalisierung der Pädophilie befürwortet und später abgestritten, dies je getan zu haben. Er hat verbotene Substanzen konsumiert, also ziemlich viel Dreck am Stecken. Trotzdem präsentiert er sich unbeirrt als moralische Instanz, verkauft sich selbstgerecht als „Menschenrechtler“ und verurteilt Andersdenkende mit großer Entrüstung.
Warum haben Sie eigentlich ein Buch über männlichen Narzissmus geschrieben und nicht nur über Narzissmus?
Weil wir aus zahlreichen Studien wissen, dass Narzissmus in der westlichen Gesellschaft seit dreißig Jahren stark ansteigt. Und fast zwei Drittel davon sind Männer.