Skandal der Skandale – Die geheime Geschichte des Christentums, 29.03.2018
Von Manfred Lütz
Kapitel I: Judentum, Christentum und Islam: Der Monotheismus als Gefahr für die Menschheit?
Gott ist groß! Wo immer dieser Ruf in der Welt in unseren Tagen unerwartet ertönt, gehen die Menschen spontan in Deckung. Der islamistische Terror hat den Ruf der Religion bei vielen Menschen definitiv ruiniert. Religion assoziiert man mit Gewalt, Intoleranz und Unvernunft. Um die vielen friedliebenden Muslime in Schutz zu nehmen, beeilen sich manche Christen zu beteuern, dass auch das Christentum eine Gewaltgeschichte hat. Das macht es aber in Wirklichkeit natürlich nicht besser. Wenn man schließlich hört, dass Hindus in Indien Moscheen anzünden und Buddhisten in Myanmar dabei sind, ein ganzes muslimisches Volk zu vernichten, dann liegt der Gedanke nahe, dass man es um des lieben Friedens willen doch vielleicht mal ganz ohne Religion versuchen sollte. Das hat man im 20. Jahrhundert probiert. Das Ergebnis war erschütternd. Die drei Diktatoren Josef Stalin, Adolf Hitler und Mao Tse-tung haben mit ihren atheistischen Ideologien zusammen etwa 165 Millionen Menschen ums Leben gebracht. Vor zweitausend Jahren wäre das die gesamte Menschheit gewesen. Dennoch, die Religionsskepsis bleibt.
Die Ermordung einer schönen Theorie durch eine hässliche Tatsache
Der Ägyptologe Jan Assmann erregte international großes Aufsehen mit seiner These, der Wahrheitsanspruch der monotheistischen Religionen sei der Kern des Problems. Die Behauptung derjenigen, die nur an einen einzigen Gott glauben, allein im Besitz der Wahrheit zu sein, sei ein Skandal mit schlimmen Folgen. Schon der Philosoph Odo Marquardt hatte ein Lob der Vielgötterei gesungen, denn wer sich von all den vielen Göttern seinen eigenen einfach frei aussuchen könne, schlage den Liebhabern anderer Götter sicher nicht den Schädel ein. Jeder nach seinem Geschmack. Klingt auf den ersten Blick plausibel. Aber leider nur in der Theorie. Frei nach Albert Einstein, der einmal bemerkte, Wissenschaft sei die Ermordung schöner Theorien durch hässliche Tatsachen, muss hier die historische Wissenschaft die Stimme erheben. Und da erfahren wir, dass die Mythen der Völker mit ihren volksspezifischen Götterhimmeln eine tödliche Nebenwirkung hatten: Rechte, vor allem das Recht auf Leben, hatten ausschließlich Angehörige des eigenen Volkes, niemand anderes. Und so war hemmungsloser, grausamer Krieg gegen andere Völker sozusagen der Normalfall, denn Mord und Totschlag waren für diese Leute gar nicht Mord und Totschlag, weil überhaupt nichts gegen das Abschlachten anderer Menschen sprach, wenn sie nicht zum eigenen Volk gehörten. Die in Stammesgesellschaften übliche Selbstbezeichnung für das eigene Volk ist in der Regel »Mensch«, womit bekundet wird, dass die anderen nicht eigentlich Menschen sind, jedenfalls nicht in vollem Sinne. Für die Welt des Griechen Odysseus sieht der amerikanische Althistoriker Moses Finley noch »kein soziales Bewusstsein, keine Spur von göttlichen Geboten, kein Verantwortungsgefühl, außer dem für die Familie, keine Verpflichtung gegenüber irgend jemand oder irgend etwas, außer gegenüber der eigenen Tapferkeit und dem eigenen Streben nach Sieg und Macht.« Hier gibt es keine Gleichheit für alle, geschweige denn Frieden oder gar Toleranz.
Die Stammesreligionen bestanden aus Erzählungen und äußerlichen Riten, in die man sich heimelig einkuscheln konnte und die sagten, wie es in der Welt war, wie es ist und wie es sein wird. Sie beschrieben die Welt, in der man lebte, und gaben Anleitungen, wie man mit ihr umzugehen hatte, wenn man nicht scheitern wollte. Es gehörte zur Lebenstüchtigkeit, diese Stammesreligionen kundig zu bedienen, so wie man heute eine Waschmaschine bedient. Macht man etwas falsch, kann das üble
Folgen haben. Also nimmt man sich zusammen, auch wenn das lästig ist. Im Grunde glaubte man auch nicht an diese Stammesreligionen, genauso wenig wie man an eine Waschmaschine glaubt, diese Stammesreligionen gehörten einfach selbstverständlich zum Leben dazu.
Doch plötzlich passierte etwas Ungeheuerliches. Etwa um 1300 vor Christus begannen gewisse Menschen gewisser Völker erst noch unsicher und nebulös, dann aber immer klarer, an einen einzigen Gott zu glauben, der die ganze Welt geschaffen habe, alle Völker, alle Menschen. Das war revolutionär! Die Stammesgötter waren ja nur für den eigenen Stamm zuständig gewesen und nicht selten hatten diese Götter in den blutigen Schlachten ihrer Völker erbittert gegen die aus eigener Sicht schwächlichen Stammesgötter der anderen Völker gekämpft. Und nun plötzlich ein Gott für alle! In Ägypten hatte es wohl angefangen, unter Pharao Amenophis IV. Der Name Amenophis bedeutet: Amun ist zufrieden. Amun aber war neben all den anderen unendlich vielen ägyptischen Göttern der Reichsgott. Doch Amenophis IV. bekannte sich nicht mehr zu Amun, er glaubte nun an den einen einzigartigen Sonnengott, an Aton. Und weil der Pharao keine halben Sachen machte, benannte er sich um in Echnaton, das heißt: »Diener des Aton«. Er erbaute eine neue Reichshauptstadt, Achet-Aton, schuf einen neuen Kunststil, der plötzlich realistische Menschen zeigte, Menschen mit persönlichen Emotionen. Nofretete war seine Ehefrau und noch heute entzückt der Liebreiz dieser Frau das staunende Publikum im Neuen Museum in Berlin. Doch Echnaton blieb nur Episode. Mit Stumpf und Stiel riss man nach seinem Tode alles aus, was an ihn und seinen Glauben erinnerte, und setzte den alten Götterhimmel wieder in sein Recht ein. Aber wer weiß, ob nicht die Strahlen dieses Sonnengottes bis auf den Sinai reichten, wo wenig später dem Moses von Jahwe die Gesetzestafeln übergeben wurden, auf denen das erste Gebot klar und deutlich lautete: Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter neben mir haben! Und mit der Zeit begriff das Volk Israel genauer, was das bedeutete, nämlich dass ihr Gott Jahwe der Gott aller Menschen war.
Das war der Durchbruch des Monotheismus. Aber das war noch viel mehr: Diesem einen Gott musste man nun plötzlich mit Herz und Verstand glauben oder nicht glauben, ihm musste man bereitwillig gehorchen oder nicht gehorchen, und das war etwas Innerliches, Seelisches, also Psychisches. Und es war etwas Individuelles. Jan Assmann schreibt: Der Mensch »emanzipiert sich aus seinem symbiotischen Weltverhältnis und entwickelt sich in Partnerschaft mit dem außerweltlichen, aber weltzugewandten Einen Gott zum autonomen bzw. theonomen Individuum.« Religion war deswegen nicht mehr bloß die äußerliche rituelle Bestätigung der ewigen Stammesordnung, für deren Aufrechterhaltung jedes Opfer, ja sogar Menschenopfer, nötig waren, um die Bedürfnisse rachsüchtiger Götter zu befriedigen, sondern der bedürfnislose, transzendente eine Gott forderte die individuelle, höchstpersönliche, freie ethische Entscheidung. Er forderte etwas Innerliches. Am Ende der Zeiten würden alle vor dem Gericht dieses Gottes stehen. Von jetzt an war der Mensch allein, allein vor Gott, denn von nun an galt: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Und vor allem konnte dem Menschen so mit der Zeit klar werden, dass er frei war, frei zu entscheiden, und dass er für seine Entscheidungen Ver-Antwortung übernehmen musste, im Sinne einer Antwort vor Gottes Richterstuhl. Der Mensch brach auf diese Weise aus dem geistigen Gefängnis der Stammesreligion aus, das keinerlei Religionsfreiheit kannte, und er musste Toleranz lernen. Denn weil es Gott selbst ist, der nur innerliche Gefolgschaft will, wird alle erzwungene Gefolgschaft sinnlos. Im Monotheismus, zu dem man sich frei bekehren musste, ist damit der Keim dessen angelegt, was man heute als Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen versteht. Natürlich war das alles nicht sofort da, sondern entfaltete sich in einer jahrhundertelangen Entwicklung. Es waren die Propheten Israels und die griechischen Philosophen, die sich längst vom Polytheismus emanzipiert hatten, die diese Entwicklung vorantrieben, weg von äußerlichen Religionsformen – in Israel, wie Jan Assmann sagt, hin zu einer »Kultur des Herzens« und in Griechenland hin zu einer »Kultur des Geistes«.
Zum Teufel mit dem Adel — Wie die Weltgesellschaft erfunden wurde
Und nicht nur Freiheit, sondern auch Gleichheit aller Menschen vor diesem einzigen Gott kam durch den Monotheismus in den Blick. Das fünfte Gebot – »Du sollst nicht morden!« – galt nicht nur für die Tötung von Stammesgenossen, sondern es galt im Letzten universal. Erstmals ergibt es Sinn, gegenüber diesem einen Gott von so etwas wie einer Menschheit zu sprechen und einer Weltgeschichte. Erst das Christentum macht das überdeutlich. Nicht nur zu einem erwählten Volk sendet Christus die Christen, sondern zu allen Völkern. Und das erkennt schließlich auch der Jude Petrus: »Wahrhaftig, jetzt begreife ich, dass Gott in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist« (Apg 10,34 f.). Das Christentum optierte für die Gleichberechtigung aller Völker. Weltreligionen, hat der geniale Soziologe Niklas Luhmann festgestellt, »nehmen gleichsam die Weltgesellschaft vorweg«. Deswegen hat man von der altgriechischen Welt sagen können, dass es dort noch nichts gegeben habe, »was einer Verrechtlichung und Humanisierung im Sinne des modernen Völkerrechts nahekommt.« Jesus aber geht noch weiter. Er fordert: »Liebet eure Feinde!« Nicht nur darauf zu verzichten, die Feinde zu töten, sondern sie sogar noch zu lieben, das muss auf damalige Menschen wie eine völlig weltfremde, verrückte Provokation gewirkt haben. Während es früher immer zunächst um Verwandtschaft, Clan, Stamm und Rasse ging, versammelte das Christentum in der christlichen Kirche Menschen verschiedener Völker völlig gleichberechtigt. Daher gab es für die Christen auch nicht mehr nur ein auserwähltes Volk. Denn das auserwählte Volk, das waren diejenigen, die an Jesus Christus glaubten, und die stammten aus allen Völkern. So zielte das Christentum von vornherein auf die ganze bewohnte Welt oder, in heutiger Sprache, auf Globalität.
Um solche Universalität zu realisieren, entstand früh schon ein christliches Trainingsprogramm, demgemäß man das Zusammenleben mit Fremden regelrecht einüben sollte. So sagt der Diognetbrief aus dem 2. Jahrhundert über die Christen: »Jede Fremde ist ihr Vaterland und jedes Vaterland ist ihnen eine Fremde.« Forcierend wirkte das Mönchtum, das sich ausdrücklich als geistliche Verwirklichung der biblischen Forderung Gottes an Abraham verstand: »Zieh weg aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft und deinem Vaterhaus.« Der Frankfurter Soziologe Karl O. Hondrich sieht in der christlichen menschheitsumfassenden »Brüderlichkeitsethik eine gewaltige Leistung der prophetischen Erlösungsreligion und einen ungeheuerlichen Affront gegen alle bekannte Moral«, die immer »der eigenen Sippe den Vorrang« gegeben habe. Noch der moderne Nationalismus hat wieder das Volksblut propagiert und daraus seinen nationalen Chauvinismus genährt. Dagegen heißt es im Kolosserbrief, es gebe jetzt nicht mehr „Juden und Griechen, Beschnittene und Unbeschnittene, Fremde, Skythen, Sklaven und Freie“, all diese Schranken seien im christlichen Glauben überwunden, und im Johannesevangelium steht dafür die provokative Begründung: Die Christen seien alle gleichermaßen Kinder Gottes, weil sie »nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches,
nicht aus dem Willen des Menschen«, sondern »aus Gott geboren« (Joh 1,13) seien. Die für Christen gewohnt klingenden Worte waren damals »eine moralische Revolution«.
Tatsächlich stellt sich das Neue Testament gegen kaum etwas sonst so ablehnend wie gegen die Ansprüche des Blutes, gegen die Herleitung heilsmäßiger Vorrechte aus Abstammung. Als man Jesus meldete, draußen warteten seine Mutter und seine Verwandten auf ihn, reagierte er brüsk: »Wer sind meine Mutter und meine Brüder? Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.« Dagegen gehört es sozialgeschichtlich zu den Selbstverständlichkeiten, dass Gesellschaften sich nach der Qualität ihrer Geburtsblütigkeit definieren und entsprechend aufgliedern. Zugrunde liegt die Vorstellung vom Spitzenahn, der göttlich gezeugt ist und an dessen besserem Blut alle Volkszugehörigen durch Abstammung teilhaben, freilich in unterschiedlichen Graden, einmal die ganz reinen Blutsträger, die Adligen, und dann die nur geminderten, die Gemeinen. Demgegenüber zeigt das Christentum geradezu eine antifamiliäre Haltung, denn es trat von Anfang an für Gleichheit ein. In der Apostelgeschichte heißt es: »Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam.« Für Otto G. Oexle vom Göttinger Max-Planck-Institut für Geschichte sind das die folgenreichsten Sätze, die jemals geschrieben« worden sind, denn daraus resultiere eine Verpflichtung für das Allgemeinwohl mit sozialem Ausgleich. Der Althistoriker Jochen Martin kommt zu dem Schluss: »Mit dem Sieg des Christentums ging die Familie als Kultureinheit überhaupt unter.« Dem stellt der kanadische Philosoph und Politologe Charles Taylor die indischen Familien gegenüber, wo es schwerfalle, ohne die Familie irgendeine Entscheidung zu treffen.
Das Neue Testament kennt keinen Adel. Doch schon im frühen Mittelalter, beim langsamen Eindringen des Christentums in die germanische Standesgesellschaft, begann die dem Christentum ursprünglich ganz fremde Institution des Adels auch in der Kirche eine besondere Rolle zu spielen. Dagegen erhoben sich immer wieder Freiheitsbewegungen unter dem Motto: »Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?« Nachdem dann Luther mit der Betonung der »Freiheit eines Christenmenschen« wieder die Perspektive auf das ursprünglich egalitäre Christentum eröffnet hatte, vollzog er allerdings nach den für ihn erschreckenden Ereignissen der Bauernkriege eine radikale Kehrtwende: Er unterwarf die protestantischen Kirchen den Landesherren, was allerdings dann später zum Beispiel in Sachsen Widerstand von protestantischen Theologen gegen die
Landesherrschaft nicht ausschloss. Damit war jedenfalls de facto der Adel wieder in seine Rechte eingesetzt. Der evangelische Theologe Heinz E. Tödt erklärt dazu: »Der konfessionalistische Protestantismus orientiert sich künftig an Autorität, am Gottesgnadentum des Monarchen, am christlichen zumindest sittlichen Obrigkeitsstaat, also antidemokratisch.« So überdauerten die der christlichen Botschaft ganz fremden Adelsprivilegien sowohl im katholischen wie im protestantischen Bereich auf unterschiedliche Weise bis ins 20. Jahrhundert hinein.
Soziale Folgen des Monotheismus: Partnerehe, Freiheit, Gleichheit, Würde
Übrigens war bei diesem Thema schon im Alten Testament eine fundamentale Veränderung eingetreten. Während die Griechen noch mehrere Urgestalten des Menschengeschlechtes kennen, sehen die Israeliten in Adam den einzigen Urvater der ganzen Menschheit. Die Geschichte von Adam und Eva, nur allzu oft missverstanden im Streit zwischen Naturwissenschaft und Theologie, erweist sich in Wirklichkeit als eine fundamentale Aussage politischer Theologie, dass es nämlich keine bevorrechtigte Abstammung bestimmter Menschen oder Völker gebe, dass vielmehr alle von einem einzigen Elternpaar abstammen würden und deswegen ihrer Herkunft nach gleich seien. Schon das war nichts weniger als ein revolutionärer Umbruch. Als dann im 18. Jahrhundert die biblische Schöpfungsgeschichte in die naturwissenschaftliche Kritik geriet und eine Mehrstämmigkeit der verschiedenen Menschenrassen diskutiert wurde, führte das dazu, dass das universalistische Humanitätsideal in Gefahr geriet und nun die »Negersklaverei« auch rassentheoretisch legitimiert wurde. Noch im nationalsozialistischen Kirchenkampf war die christliche Sicht von der Einheit des Menschengeschlechts den Machthabern ein Dorn im Auge. Dass die Menschen von Natur aus ungleich seien, diese Grundauffassung brachten die Stammesreligionen auch dadurch zum Ausdruck,
dass die Ungleichheit im Diesseits sich auch noch im Jenseits abbildete und damit legitimierte, denn für sie blieb der König auch im Himmel der König und der Sklave auch im Himmel der Sklave. Dagegen schaffte der Monotheismus die Voraussetzung dafür, alle Menschen wirklich als gleich anzusehen, ihnen die gleiche Würde zuzusprechen. Das sieht auch Jan Assmann so.
Noch ein anderer Keim ist im Monotheismus angelegt. In den kosmologischen Religionen der Vorzeit entspricht der Mann gewöhnlich der Sonne und die Frau dem Mond, womit Letztere immer nur ein Abglanz ist und nie Gleichberechtigung erhält. Hingegen spricht ihr der Monotheismus dieselbe Menschenwürde zu. Damit ändert sich zum Beispiel auch die Ehe, die nun mit der Zeit zur partnerschaftlichen Konsens-Ehe wird.
Freiheit, Gleichheit und Menschenwürde kamen erst durch den Monotheismus auf die Tagesordnung der Weltgeschichte. Auf diesen geistigen Fundamenten ruht der moderne Rechtsstaat, der im Bemühen um Recht und Gerechtigkeit auf die innere Zustimmung der Bürger setzt und damit entscheidend zur Gewaltminderung beiträgt. Der Monotheismus war innovativ, er war revolutionär, während die Stammesreligionen immer wieder die bestehenden Verhältnisse bestätigten. Nur der Monotheismus konnte das »Magnifikat« hervorbringen, den Lobpreis Mariens: »Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen!« Das christliche Gottesgericht war vor allem Hoffnung für die Unterdrückten, die Schwachen, die Opfer des Lebens, Hoffnung, dass die göttliche Gerechtigkeit sich am Ende durchsetzt.
All das ist zu bedenken, wenn man auch über den Preis des Monotheismus spricht. Jan Assmann hat sicher recht, dass es eine Versuchung ist, wenn Menschen glauben, allein im Besitz der Wahrheit zu sein. Und es hat bei fanatischen Vertretern der monotheistischen Religionen nicht nur theoretische, sondern auch praktische Intoleranz und Gewaltexzesse gegeben. Aber die entscheidende Frage ist
historisch, ob die Alternative, ob eine Welt ohne Monotheismus etwa friedfertiger, humaner gewesen wäre. Und da ist das Ergebnis jüngster wissenschaftlicher Studien eindeutig: Ganz sicher nicht! Selbst Jan Assmann, der seine Ursprungthese im Jahre 2015 revidiert hat, gesteht am Ende ein, dass die monotheistische Wende sich zwar »in einem Unmaß von Gewalt und Blutvergießen manifestiert« hätte, doch auch die vorherigen Stammesreligionen seien voll davon gewesen und viele dieser Gewaltformen seien »von den monotheistischen Religionen im Zuge ihrer transformatorischen Machtentfaltung gebändigt, zivilisiert und geradezu ausgemerzt worden.« Kein Wunder also, dass auch Jan Assmann am Ende resümiert: »Nichts liegt mir jedoch ferner, als dem Monotheismus den Vorwurf zu machen, er habe die Gewalt in die Welt gebracht. Im Gegenteil, der Monotheismus hat mit seinem Tötungsverbot, seiner Abscheu gegen Menschenopfer und Unterdrückung, seinem Plädoyer für die Gleichheit aller Menschen vor dem Einen Gott, alles getan, die Gewalttätigkeit dieser Welt zu verringern.«