Brief aus Brüssel, 2014 / Januar, 27.01.2014
Brief aus Brüssel, Januar 2014
Mit der fortschreitenden Europäisierung nationalstaatlicher Entscheidungen werden auch ethische und moralische Prinzipien europäisiert und mithin Gegenstand von EU-Entscheidungsprozessen. Das ist zunächst nichts Neues. Die soziale Steuerung von Werten und Normen durch die „stetige Besserung der Lebensbedingungen“ und durch die „Sicherung des sozialen Fortschritts“ ist in der Präambel der Römischen Verträge (1957) verankert. Heute führt die politisch gesteuerte Vereinheitlichung der Lebensbedingungen zwischen 28 Mitgliedsstaaten aber zu einer Nivellierung jener Normen und Werte, auf denen das Zusammenleben der Familien in den Mitgliedsstaaten aufbaut. Das gilt auch für das Gebot der Antidiskriminierung aufgrund der Sexualität: Nach einem gescheiterten Versuch, Abtreibung als Grundrecht anzuerkennen, will der Frauenausschuss nun Prostitution verbieten und Anfang Februar bringt das EU-Parlament einen „EU-Fahrplan zur Nichtdiskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität“ auf den Weg. Dass ausgerechnet der intime Bereich Sexualität politisiert wird, zeigt die Überdehnung des Regulierungswillens und die Sackgassen auf, in die die Europäische Union geraten ist.
Ein 40 Seiten langer „Bericht A7-0306/2013 über sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte (2013/2040(INI))“ sorgte im Jahre 2013 für Aufregung. Hauptziel war die vollständige Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, was als Menschenrecht deklariert wird. Weiter wurde gefordert, Alleinstehenden und lesbischen Frauen den Zugang zu Fertilitätsbehandlungen und künstlicher Befruchtung zu gewähren und Sterilisierung bei Geschlechtsumwandlung zu verbieten. Mitgliedsstaaten sollten die Möglichkeiten des medizinischen Personals, sich auf ihr Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit zu berufen, einschränken können. Ein Änderungsantrag, der u.a. von der Grünen Abgeordneten Ulrike Lunacek eingereicht wurde, fügte die Forderung der obligatorischen Sexualerziehung für alle Schüler der Grund- und Sekundarschulen in einer tabufreien und interaktiven Atmosphäre, diskriminierungsfrei und ohne elterliche Zustimmung in das Plenarsitzungsdokument ein. Angesichts der aktuellen Pädophilie-Debatte und der Vergangenheit der Grünen nicht nur in Deutschland horchten viele Eltern auf: Wie soll zukünftig tabufreier und interaktiver Sexualkundeunterricht zwischen Lehrern und Schülern in der Grund- und Sekundarschule ohne das Einverständnis der Eltern ablaufen? Der Skandal war programmiert und der Aufschrei in allen Mitgliedsstaaten so groß, dass der Bericht nach einer ungewöhnlich heftigen Plenardebatte durch einen alternativen Entschließungstext ersetzt wurde. Nun bestätigt das EP, dass Fragen von Abtreibung und Sexualerziehung in den alleinigen Zuständigkeitsbereich der Mitgliedsstaaten fallen. Dennoch fördert die EU-Kommission Abtreibung in der Entwicklungshilfe mit Millionenbeträgen.
Seit Beginn des Jahres beschäftigt sich Europa nun mit einer „Strategie der EU zur Bekämpfung der Homophobie und der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung und der Geschlechtsidentität“. „Homophobie“ und „Geschlechtsidentität“ sind politisierte Begriffe ohne Grundlage im Gemeinschaftsrecht. Mit diesem Fahrplan kündigt das EP die Allgemeinverbindlichkeit der Menschenrechte auf und schafft spezielle Privilegien für Bürger einzig aufgrund derer sexueller Vorlieben. Das Gleichgewicht zwischen dem Recht auf Gleichbehandlung und anderen Grundrechten wird abgeschafft. „Homosexuellenrechte sind Menschenrechte“: mit diesem Slogan verleiht das EP der politischen Agenda der Gleichgeschlechtlichkeit die Aura der Unantastbarkeit und immunisiert sie gegen jede kritische Hinterfragung. Der Verweis auf bereits bestehende „EU-Strategien“ für Menschen mit Behinderung bzw. für die Integration von Sinti und Roma erweist sich als nicht stichhaltig. Tatsächlich behandeln diese Strategiepapiere ganz unterschiedliche Problemlagen. Insbesondere ist einem Menschen mit Behinderung mit „Gleichbehandlung“ nicht geholfen, sondern nur dadurch, dass man in besonderer Weise auf seine Behinderung Rücksicht nimmt. Gerade der Verweis auf Maßnahmen zur Integration von Menschen mit Behinderung erweist sich somit als argumentativer Bumerang: er impliziert, dass Homosexualität als eine „Behinderung“ zu betrachten sei, und er stellt heraus, dass es den Aktivisten der Gleichgeschlechtlichkeit letztlich nicht um Gleichbehandlung geht, sondern um Privilegien.