Brief aus Brüssel, 2017 / April, 30.04.2017
Drei Personen ziehen derzeit die Aufmerksamkeit im politischen Brüssel auf sich: Marine Le Pen und Emmanuel Macron im Rahmen der Präsidentschaftswahlen in Frankreich, und Viktor Orbán im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens. Der Umgang mit Ungarn und mit Frankreich zeigt erneut, wie die EU mit zweierlei Mass misst, wenn es um den Umgang mit wertkonservativen Politikern in der EU geht.
Mitte April eröffnete die EU-Kommission im Rekordtempo ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den konservativen Ministerpäsidenten Viktor Orban. Hintergrund ist die angebliche Beschneidung der Freiheit von Lehre und Forschung durch die Überarbeitung des bestehenden Rechtsrahmens für ausländische Universitäten, die einen Campus in Ungarn eröffnet haben. Umstritten ist die neue Regel, dass jede ausländische Universität, die in Ungarn eine Zweigstelle unterhält, im Herkunftsland eine Zentrale unterhalten muss. Das ist an sich keine grosse Sache, vor allem im Hinblick auf die gegenseitige Anerkennung der in Ungarn vergebenen Doppeldiplome. Die “Central European University” hingegen verleiht zwar ein amerikanisch-ungarisches Doppeldiplom, aber sie verfügt nicht über einen Campus in den USA. Das wäre alles nicht der Rede wert, gäbe es nicht ein wichtiges Detail: Central European University ist nicht nur eine von 28 ausländischen Universitäten in Ungarn. Sie hat sich vor allem als linksideologische Kaderschmiede des Börsenspekulanten George Soros einen Namen gemacht. Auf ihr werden gezielt linksliberale Intellektuelle und Aktivisten ausgebildet. Von seinem Vermögen (rund 24 Milliarden Dollar) finanziert Soros Nichtregierungsorganisationen, die angeblich zum Schutz der Menschenrechte aktiv Werte und Normen der Gesellschaft zu steuern versuchen. Die Central European University ist das Zentrum der Förderung einer neuen Generation linksliberaler Intellektueller und Aktivisten. Sie hat in den Brüsseler Behörden besonders viele Befürworter. Das erklärt das Rekordtempo, mit dem die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleitet, um die Soros-Akademie am Leben zu erhalten.
Aber es dürfte eigentlich egal sein, wie man zur Frage der Zukunft der linksliberalen jungen Elite in Europa steht: es gibt immer noch ein Grundprinzip, wonach es den nationalen Regierungen überlassen ist, die Zulassung von Universitäten und die Anerkennung von Diplomen in ihrem Staat zu regeln. Man könnte als Beispiel die katholischen Universitäten und Institute nennen, die auf der Grundlage eines Kirchenstaatsvertrags eigene Diplome vergeben. Das erkennt die EU-Kommission ja auch als innerstaatliche Angelegenheit an.
Der wertkonservative Politiker Viktor Obán regiert seit 2014 mit einer bequemen 2/3-Mehrheit. De facto ist die Opposition machtlos. Sie hofft auf Brüssel. Was die nationale Opposition im Heimatland nicht schafft, soll die Brüsseler EU-Elite erledigen. Diese versuchte es im Plenum des Europa-Parlamentes in Brüssel. Dass die Anklage gegen Viktor Orban ausgerechnet vom ersten Vize-Präsidenten der EU-Kommission vorgetragen wurde, konnte nicht überraschen. Es war derselbe Sozialist Frans Timmermans, der bei der Equality-Gala der schwul-lesbischen EU-Lobbygruppe “ILGA-Europa” im Frühjahr 2015 sein Demokratieverständnis zum besten gab : „Wir wollen unsere Sichtweise nicht denjenigen Europäern aufzwingen, die unsere Sichtweise nicht teilen. Aber wir glauben inbrünstig daran, dass das, was bereits in einigen Nationen Europas entdeckt wurde, allen anderen Nationen nicht vorenthalten werden darf.“ Der Fraktionsvorsitzende der FDP-Europaabgeordneten, der Belgier Guy Verhofstadt, war sich auch für einen Hitlervergleich nicht zu schade und kreischte den Regierungschef an: “Wann fangen Sie an, Bücher zu verbrennen?”. Der Fraktionschef der Grünen, Philippe Lamberts, warf Orban vor, kein “Christdemokrat” zu sein, weil er die Bibel nicht respektiere. Letzteres war zumindest nicht konsequent. Denn die Grünen arbeiteten seinerzeit aktiv daran, den Gottesbezug aus der Präambel des EU-Verfassungsvertrags zu streichen. Und die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen von Philippe Lamberts und den Grünen sind auch kein Ausweis für christliches Verhalten in sozial-ethischen Fragen. Wie so oft nutzte die linke Koalition im EU-Parlament auch diese Gelegenheit, die Institution als Resonanzboden zu nutzen, um Stimmung gegen wertkonservative Politiker in den Mitgliedsstaaten zu machen. Es ging ihr offensichtlich nicht um Forschungsfreiheit, sondern um eine Generalabrechnung mit einem Regierungschef, der sich dem gesellschaftspolitischen Diktat der EU widersetzt.
Zwei kuriose Details am Ende der Aussprache sind erwähnenswert, um die aufgeheizte Stimmung gegen Orban zu beschreiben. Das letzte Wort seiner Schlussrede widmete der Vizeprädident der EU-Kommission nicht etwa dem Regierungschef, sondern der AfD-Politikerin Beatrix von Storch, die Orban verteidigt hatte. Die Kommission fasst üblicherweise in ihren Schlussbemerkungen die Debatte ausgewogen zusammen. Doch diese Aussprache gegen Orban war politisch so aufgeladen, dass der Kommissions-Vizepräsident eine Ausnahme machte und die Äusserungen von Frau von Storch erwähnte. Jeder Europa-Abgeordnete würde sich diese Sonderbehandlung der EU-Kommmission gerne wünschen. Zweites Detail, von der Pressetribune des Plenums gut zu beobachten: nach der Aussprache ging Frau von Storch auf Viktor Orban zu, um ihn persönlich zu grüssen. Sie machten eine Aufnahme von sich, ein Selfi. Das ging dem Chef der Liberalen zu weit, so dass er seinem Ärger derart lauthals Luft machte, dass diese völlig nebensächliche Szene auf einmal ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte. Sogar die grüne EP-Vizepräsidentin Ulrike Lunacek erwähnte das Selfi in ihrer Presseaussendung. Wenn sich wertkonservative Politiker weigern, auf die linksorientierte Brüsseler Linie der EU-Institutionen einzuschwenken, liegen die Nerven offensichtlich blank.
Das Ungarn-Bashing in Brüssel wird vermutlich weitergehen, es ist schon Ausdruck einer Art Kulturkampf in der EU. Ganz anders hingegen verhält es sich mit den französischen Präsidentschaftswahlen. Alle rechneten damit, dass die rechtsextreme Marine Le Pen in die Stichwahl kommen würde. Die Frage war nur: mit wem? Die Konservativen “Les Republicains” und die Sozialdemokraten wurden im ersten Wahlgang deutlich abgestraft. Das beweist einmal mehr den Legimitätsverlust der Volksparteien. Möglicherweise ist es der grösste Verdienst des ansonsten glücklosen Sozialdemokraten François Hollande, aus dem Nichts heraus einen Nachfolger gezaubert zu haben, der zwar als «Parteiloser» auftritt und doch durch und durch Sozialdemokrat ist. Schliesslich arbeitet Macron seit 2004 mit der sozialdemokratischen Partei Frankreichs. Seine erste Aktivität wurde sogar von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung bezahlt. Macron ist fester Bestandteil der linken Elite in Frankreich. Seine letzten, politisch intensiven Jahre verbrachte er als stellvertretender Generalsekretär des Elysee-Palastes und als Wirtschaftsminister von François Hollande. Dass ausgerechnet ihm nachgesagt wird, er verkörpere ein “neues modernes Regieren”, ist eine Erfindung. Sie wirkt vor allem in Deutschland. Um Marine Le Pen zu verhindern, haben sich nun die Christdemokraten der EVP mit den Sozialdemokraten verbunden. Kaum war das Ergebnis des ersten Wahlgangs bekannt, riefen die ersten Christdemokraten auf, den linken Macron zu unterstützen. Aber das ist nicht der Punkt. Selbstverständlich kann jeder Politiker seine persönliche Meinung haben. Aber es ist eine andere Sache, als Europa-Politiker sich in eine Wahl in einem anderen Land einzumischen. Abgesehen davon, daß dies die Abneigung gegen „die da in Brüssel“ erhöht, und dass davon Marine Le Pen profitiert, sind die Gruß-und Glückwunschadressen für den Sozialdemokraten Macron – allen voran die des Christdemokraten und EU-Kommissionsprädidenten Jean-Claude Juncker – ein klarer Verstoß gegen die Regeln einer supranationalen Institution. Früher hätte man wenigstens den Wahlausgang abgewartet. Aber demokratische Gepflogenheiten werden in Brüssel ideologischen Vorlieben untergeordnet. Die Regeln gelten vor allem dann, wenn sie in das eigene Denken passen. Bei solchen doppelten Standards darf man sich nicht wundern, daß Europa außerhalb Deutschlands immer unbeliebter wird. Wann lernen die Europa-Politiker endlich, sich europäisch korrekt zu verhalten ?
Mit (neutralem) Gruß,
Ihr
Junius
Zur Erinnerung: Mehrfach wurden wir gebeten, die Identität des Briefeschreibers aus Brüssel preiszugeben. Es handelt sich um eine Gemeinschaftsarbeit von Informanten und Redaktion. Sie erinnert an die sogenannten Junius letters, in denen ein Pseudonym namens Junius in der Zeitschrift Public Advertiser in London vom 21. Januar 1769 bis zum 12. Mai 1772 Briefe über die Geschehnisse am Hofe und im Parlament veröffentlichte. Darin wurden die Machenschaften in der Königsfamilie, von Ministern, Richtern und Abgeordneten satirisch und mit Sachkenntnis der internen Vorgänge und Intrigen aufgespießt. Die Junius-letters gelten als erster Beleg des journalistischen Zeugnisverweigerungsrechts.