Von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz
Die katholische Kirche erlebte in der vergangenen Woche eine Stunde ihrer Geschichte. Nämlich einen „Streik“, der auf ein Herumwerfen des „kirchlichen Apparates“ zielte. „Maria 2.0“ entbrannte am 11. Mai 2019 in Münster und flackerte an verschiedenen Orten auf, war allerdings (noch) kein Flächenbrand und wird wohl auch keiner werden, da die erhobenen Forderungen zu vielfältig, zu „deutsch“ und allzu kirchenpolitisch begründet sind. Von Selbstverständlichem abgesehen – Aufarbeitung der Mißbräuche – zielte der „Streik“ auf einen Doppel-Punkt: das weibliche Priestertum einzuführen und den verpflichtenden Zölibat für Priester (und die erhofften Priesterinnen) abzuschaffen.
Schubkraft, gerade aus dem nicht-katholischen Raum, erhielt das Doppel-Ziel durch die selbstverständliche Gleichberechtigung von Mann und Frau und weiter durch die Vorstellung von Sexualität als Ausdruck von Lebenslust und individueller Freiheit (und das in „Vielfalt“). So weit der Befund. Und so weit hinkt die Kirche angeblich, auch in den Augen vieler Gläubigen, mit eingerosteten Knien der Zeit hinterher, und man darf ihr getrost Beine machen. Man täusche sich nicht: Argumente dagegen sind schwer. Das sieht man vor allem am halben Ja und halben Nein in den Interviews von Amtsträgern, die dem weiblichen Aufstand ziemlich ratlos gegenüberstehen. Das sei keineswegs hämisch vermerkt, da die Medien tatsächlich keinen Raum für tiefere Auslotung vor den Kameras geben, sondern zum Nachgeben und Zugestehen fast schon zwingen. Alle Stereotypen springen auf, die ohnehin nicht stimmen, aber ungebremst Fahrt aufnehmen: Macht(mißbrauch), Unterdrückung der Frau, der Sexualität, Knechtung der Gewissen… Die alte Catholica steht am Pranger.
Darüber muß nachgedacht werden. Die Entscheidung, Priesterinnen (damit Bischöfinnen) zuzulassen und Priestern die Ehe (damit die Ehescheidung) zuzugestehen, würde Kirche auf Generationen hinaus verändern. Aber diese Feststellung allein ist noch kein Argument. Ein solches kann nur aus den Ursprungsschriften und ihrer Deutung durch viele Jahrhunderte, durch viele „bunte“ Kulturen hindurch kommen. Nennen wir diese Herkunft nicht Tradition, nennen wir sie Klassik – erprobt, umkämpft, in Lehrentscheidungen festgemacht.
Klassik heißt in der Frage des Priestertums: Hier richtet sich die Kirche nach dem Vorbild Jesu. Der letzte Abend seines Lebens, diese absolute Stunde, dient der von unerschöpflicher Tiefe unterlegten Einsetzung einer Feier, die wir heute Eucharistie nennen. Wie die Evangelien notieren, ist die Feier ausdrücklich den Zwölfen aufgetragen. Um den Charakter des Auftrags eindeutig zu machen, verbindet Christus ihn mit dem untersten Dienst: dem Sklavendienst, den Gästen die Füße zu waschen. Ebenso eindeutig hat sich die frühe Kirche in Ost und West an die Weitergabe dieses Dienstes gehalten, und zwar an Männer, die sich auf diesen Sklavendienst geistig vorbereiten mußten und dazu auch unverheiratet blieben. Daß es davon geschichtliche Ausnahmen gibt, bestätigt die Regel, und sie blieb gegen immer unterschwelligen Widerstand durchgesetzt. Zumindest die Bischöfe der Orthodoxie müssen ebenfalls ehelos leben; im Blick ist der unbedingte Einsatz, die unbedingte Nachahmung der Ehelosigkeit Jesu, das Höchstmaß seiner Nachfolge: der Verzicht auf leibliche Liebe. Die evangelischen Kirchen kennen kein Priestertum dieser Art und sind damit nicht vergleichbar.
Wird die klassische Regel des männlichen Priestertums ausgesetzt, schneidet man sich nicht nur ab von Jesu Beispiel; man schneidet sich auch ab vom Judentum. Mitten in einer Vielgötterwelt des Vorderen Orients bestimmte Israel die Männer des Stammes Levi zu Priestern, nicht aber Frauen (wie im sonstigen Umfeld). Eine Rabbinerin von heute ist keine Priesterin. Der Einwand, Jesus habe als antiker Jude nur die Zwölf zu diesem Auftrag sammeln „können“ aus psychologischen Gründen, unterstellt eine Zeitabhängigkeit Jesu. Sie deckt sich in keiner Weise mit seinem sonstigen herausfordernden, ja überfordernden Verhalten, gerade was Frauen betrifft: Er zieht mit ihnen umher, läßt sich berühren und salben, läßt sich deswegen anpöbeln, heilt sie, tröstet sie, beruft sie zu Zeuginnen seiner Kreuzigung und des leeren Grabes. Wenn er sich darin über seine Zeit hinwegsetzte, so tat er dies doch nicht an seinem letzten Abend mit dem verbindlichsten Auftrag: zu tun, was er getan hat. Aber drei Tage später werden sie anders ausgezeichnet: als Zeuginnen seiner Auferstehung.
Daß diese Entscheidungen in ihrer Tiefe verstanden wurden, bezeugt die Kirche, weil sie die Ebenbürtigkeit beider Geschlechter betont, weil sie in der Taufe die Wiedergeburt beider aus Gott unterschiedslos benennt und die Sakramente ebenso unterschiedslos austeilt außer der Priesterweihe. Auch weil sie für Frauen neben der Mutterschaft einen bis dahin beispiellosen Selbstand geöffnet hat: als Jungfrau, als Witwe, als geweihte Frau, die dem Zugriff des Mannes entzogen ist.
Was dringlich nottut, ist das Wegkommen von der Klagemauer: Immer schon haben Frauen nicht, oder umgekehrt: Immer schon mußten Frauen… Es gibt die große Geschichte der jüdisch-christlichen Frauen, die sich mit jeder „männlichen“ Geschichte vergleichen läßt, an Intensität und Glück eines göttlich berührten Lebens. Die gewohnte Aufrechnung einer fortwährenden Unterdrückung, mit heutigen Augen gemessen, trägt einen bewußt oder unbewußt desinformativen Zug. Mehr noch: Selbstmitleid lähmt. Jede Form von Larmoyanz ist ein Hindernis in der Sache.
Es sollte heute zum Wandel des Bewußtseins gehören, daß Frauen ihre eigene Herkunft aus der Geschichte kennen und diese nicht nur als Zu-kurz-Gekommenewahrnehmen – dann hat man sich der belebenden Kraft dieser Vorläuferinnen beraubt. Wenn es heute um die tiefere Mitsprache der Frau in allen Belangen des Menschlichen geht, dann muss man sich zuerstder Vor-Denkerinnen versichern, deren späte Frucht wir sind: der namenlosen wie der berühmten Christinnen. Der Reichtum dieser vielerlei Leben besteht ja darin, daß sie auf der großen Welt der Antike und des Mittelalters aufbauen, auf der Erfahrung der jüdischen, griechischen, römischen, der germanischen und slawischen Frauen. Nur mit dem Selbstbewußtsein einer 2000jährigen bedeutenden Vergangenheit läßt sich Geschichte gestalten, auch auf das neue Gegenufer des Unerprobten zu. Dem Beleidigtsein und der Wut – die naturgemäß kurzatmig denkt – wird nichts gelingen als ein auf die Dauer langweiliges Ressentiment.
Nach wie vor werden weltweit Frauen unterdrückt: Mitgiftmorde, Ehrenmorde an Frauen, Witwenverbrennung, Mädchenabtreibung, Mädchentötung, Mädchenbeschneidung, Kinderheiraten, Polygamie, Haremskulturen, heute kommt dazu: Druck zur Abtreibung, Leihmutterschaft auf Bezahlung. Es gäbe viele Anlässe für katholische Frauenverbände, sich dagegen laut aufzulehnen. (Die streikenden Frauen kleben sich den Mund zu – merken sie nicht, was für ein doppeldeutiges Symbol das ist?) Die Fakten der Frauenverachtung sprechen eine interreligiöse und interkulturelle Sprache. Es ist wesentlich das Christentum, das diese Gewohnheiten angreift und überhaupt die weibliche Würde gegen religiös unterbaute Herabwürdigung verteidigt.
Maria 2.0: Die Mutter Jesu als Bannerträgerin eines weiblichen Priestertums erstaunt, wenn man die biblischen Texte liest. Schon seit den 1970er Jahren läuft ihre Umdeutung in der feministischen Theologie zur Rebellin. Ja, das ist sie, aber anders als gedacht. Wo hätte sie (Priester-)Macht für sich eingefordert? Der wörtliche Rat aus ihrem Mund lautet: „Tut, was er euch sagt.“ (Joh 2,5) Die Rebellion Marias reicht weit tiefer: in den Umbau des Existenzbewusstseins. Den Umbau nämlich der Selbstbehauptung gegen den göttlichen Wunsch, der Mensch möge aus freien Stücken die Pläne Gottes anerkennen, mittragen, sich in ihre Verwirklichung stellen. Zum Glück sind die Geschlechter verschieden, zum Glück anders eingefordert.
Maria 3.0 wäre: ihre wunderbare, unglaubliche (ungeglaubte) Weiblichkeit aufzuweisen. Ihre Weiblichkeit als Mutter (stabatmater: der blinde Fleck des Feminismus überhaupt); ihre Weiblichkeit als Jungfrau (Selbstand jenseits der Egosuche); ihre Weiblichkeit als Kirche: und da wäre denn wirklich Mehreres anzupacken. Aber Mitarbeit gelingt nicht aus Beleidigtsein, sie gelingt aus Geist-Begabung. „Schön wie ein Ja in einem Saal voller Nein“: Das sind die Frauen des Evangeliums.
Man/ Frau sollte die Kirche nicht verlassen, aus welchem (modischen oder grundsätzlichen) Ärger immer. „Mich, den lebendigen Quell, haben sie aufgegeben und graben sich anderswo löchrige Brunnen.“ (Jer 2,13) Was aber tun, wenn einem die Kirche selbst als löchriger Brunnen vorkommt? Tiefer in ihr graben, bis der Schacht zum Grundwasser getroffen ist. Denn es gibt den Schacht (das Beste an der Kirche), und in ihm rauscht das Grundwasser (Gott) – wirklich. Diesen Schacht zu finden, schaffen vielleicht nicht einzelne, aber zusammen fällt die Suche leichter. Manchmal öffnen Freundinnen den Zugang: Hildegard, Hedwig, Caterina und die neuen, durchwegs komplizierteren Frauen wie Edith Stein, überhaupt die zahllosen geistigen Schwestern, die vielen Marien, Magdalenen und Marthen dem Namen und dem Geist nach. Kleben wir ihnen nur nicht den Mund zu.