– Der Primat des Rechts als Voraussetzung einer neu anhebenden Debatte / Die Herausforderung des Islam und das christliche Erbe Europas
von Jürgen Liminski
Christian Lindner sah es sofort. Etwas gelangweilt sagte er im ARD-Interview: „Da geht es wieder um Religion“. Gemeint war die im Frühsommer von Innenminister Thomas de Maiziere angestossene Leitkultur-Debatte. Und geradezu wie eine Offenbarung war Lindners Nachsatz: „Ich finde, unsere Leitkultur sollte das Grundgesetz sein. Das ist offen für alle“. Aber ist nicht gerade diese von den Richtern in den letzten Jahren vorangetriebene Offenheit das Problem? Denn es ist keine Offenheit mehr, die einlädt Werte zu teilen, sondern eine, die nahezu alles und alle nebeneinanderher zulässt. Die kulturellen Konturen des Grundgesetzes verblassen. Der Rahmen wird zur Glasfläche ohne Rand. Auf ihr spiegeln sich unterschiedlichste Muster, Farben, Formen. Das Alles wird zum Nichts. Der Werterelativismus und der damit einhergehende Rechtspositivismus haben es nicht nur möglich gemacht, sie sind treibende Motoren der Entwicklung. Es geht in Richtung Nihilismus und einer libertären Geisteshaltung, die alles erlaubt und ermöglichen will. In solch einem geistigen Ambiente ist es schwierig, eine Orientierung gebende, geschweige denn zur Orientierung verpflichtende Leitkultur zu definieren.
In diesem Ambiente des anything goes hat natürlich auch Religion kaum noch Platz. Denn Religion ordnet, Glauben schafft Hierarchie. An Gott glauben heißt zuallererst: einen Schöpfer anerkennen. Aus dieser ersten, existentiellen Beziehung leiten sich die Beziehungen zu anderen Menschen ab. Wie die erste Beziehung gestaltet und gelebt wird, ob überhaupt, ob in einer persönlichen und liebevollen Beziehung oder in einer Geste permanenter Unterwerfung, das macht das Gottes-und Menschenbild aus, das regelt entsprechend dann auch die Beziehungen der Menschen untereinander. Aus diesen Beziehungen entstehen Haltungen und aus der Gesamtheit der Haltungen, Beziehungen und Umweltbedingungen in der jeweiligen Zeit und Geschichte entsteht Kultur. Insofern hat Lindner recht, wenn er „klagt“, daß eine Leitkulturdebatte zu einer Religionsdebatte werden kann. Es darf aber auch gefragt werden: Muss es nicht auch eine Religionsdebatte werden, weil sonst ein Austausch, Integration oder auch nur gegenseitiges Verständnis nicht möglich wird?
In diesem Sinn sind auch die Thesen des gläubigen Christen und Ministers Thomas de Maiziere zu verstehen, wenn er in der Bild am Sonntag fragt: „Wer sind wir? Und wer wollen wir sein?“. Seine Antworten bündeln sich eben im Begriff der Leitkultur. Die habe etwas mit Haltung zu tun, sagt er. „Wir sagen unseren Namen. Wir geben uns zur Begrüßung die Hand.“ Und weiter: „Wir sind eine offene Gesellschaft. Wir zeigen unser Gesicht. Wir sind nicht Burka.“ In der Tat, in kaum einem anderen Begriff wie dem der Leitkultur zeigt sich die Erkenntnis eines französischen Vordenkers des Sozialismus, Pierre Joseph Proudhon (1809-1865), der in seinen „Bekenntnissen eines Revolutionärs“ bemerkte, es sei „überraschend, daß wir auf dem Grund unserer Politik immer die Theologie wiederfinden“. Proudhon war kein Kirchgänger, aber er war offen für Argumente. Er hatte erkannt, dass die Glaubens-und Gewissensfreiheit die Mutter aller Freiheiten ist. Diese Erkenntnis teilte er mit anderen Denkern Europas, nicht zuletzt mit dem Zeitgenossen Alexis de Tocqueville oder den Briten John Milton, John Locke und vielen anderen mehr. Tocqueville sieht gar einen unlöslichen Zusammenhang zwischen Religion und Freiheit, wenn er in seiner Analyse der amerikanischen Demokratie schreibt, daß „man das Reich der Freiheit nicht ohne das der guten Sitten zu errichten und die guten Sitten nicht ohne den Glauben zu festigen vermag“ und ähnlich wie Edmund Burke ist er davon überzeugt, daß die moderne Demokratie der Religion im besonderen Maße bedarf, weil nur das religiös fundierte Sozialkapital imstande sei, den egoistischen Partikularwillen der Individuen zu überwinden.
Freiheit als Funke göttlichen Wohlwollens, das ist Erbe Europas. Dazu haben sich die Christen mühsam und paradoxerweise auch gewaltsam durchgerungen. Über diese Geschichte und Vergangenheit sind Bibliotheken geschrieben worden. Wichtig ist, daß diese Freiheit der Gewissen und Religionen in der Gegenwart Teil des demokratischen Gemeinwesens ist. Diese Freiheit sucht man heute auf dem Grund der islamischen Politik vergebens. Diese Religion nutzt die Freiheit der anderen, sie selbst kennt letztlich nur die Unterwerfung. Islam heißt bezeichnenderweise auch nicht Friede, sondern Unterwerfung. Das arabische Substantiv „Islam“ leitet sich von dem Verb „aslama“ („sich ergeben, sich hingeben“) ab und bedeutet sowohl Unterwerfung (unter Gott) als auch völlige Hingabe (an Gott)“. Ein Muslim – das Wort wurde ebenfalls vom Verb „aslama“ abgeleitet – ist jemand, „der sich (Gott) hingibt“. Der Unterschied zum Christentum ist ein Gegensatz. Deshalb ist die Debatte um eine Leitkultur, aus der Haltungen und Formen des Zusammenlebens erwachsen, nie notwendiger gewesen als heute, da der Islam sich anschickt, das öffentliche Leben in einem immer noch christlich geprägten, freiheitlichen Kontinent mitzubestimmen. Diese Debatte ist nicht zu verhindern oder auszusitzen. Die Zuwanderung und der Islam drängen sie Europa auf. Entweder der Islam ändert sich im Sinn einer freiheitlichen Leitkultur oder er spaltet die Gesellschaft.
In diesem Sinn ist es zwar erfreulich, wenn Politiker wie der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, dafür plädieren, daß mehr Christen in die Politik gehen sollen. Bei einer Diskussionsveranstaltung vor der Wahl sagte er: „In der Politik gibt es zu wenig Christen. Es tut dem gesamten politischen Spektrum gut, dass sich Christen engagieren.“ Er verwies darauf, dass vor allem Christen wesentlich zur friedlichen Revolution in Deutschland wie auch in Polen beigetragen hätten. Christen sollten daher auch heute selbstbewusster auftreten: „Christen sollten viel öfter sagen: Wir haben eine Überzeugung, die sogar Mauern zum Einstürzen bringen kann, wenn wir den Mut dazu haben.“ Allerdings ist die politische Betätigung von Christen nur sinnvoll, wenn sich diese Christen auch zu ihren Werten bekennen. Für Laschet ist freilich auch klar, dass die Bibel nicht zur allgemeinen Lebensregel aller Bürger, noch nicht einmal aller Deutschen gemacht werden könne. Selbst die zehn Gebote sind in diesem Sinn nicht mehr für alle verbindlich, Stichwort Abtreibung bzw. fünftes Gebot. Laschet: „Das Zusammenleben ist geregelt durch das Grundgesetz, nicht durch religiöse Regeln.“ Die Bibel sei kein Handbuch, das Ratschläge für die Tagespolitik gebe. „Die Bibel sagt nichts zum Stau auf der Leverkusener Brücke oder wie genau ein Gesetz gemacht werden soll. Aber das Menschenbild hat man im Kopf, im Herzen, im Glauben – das kann man übertragen.“ Wie das dann bei konkreten Entscheidungen aussehe, darüber müsse gestritten werden und in der Demokratie entscheiden Mehrheiten, nicht Wahrheiten. Auch aus christlichen Überzeugungen ließen sich gegensätzliche Meinungen ableiten. Etwa wenn es um den Einsatz des Militärs gehe oder auch um die (grenzenlose) Aufnahme von Flüchtlingen.
All das gilt für Christen. Strenggläubige Muslime werden sich davon nicht beeindrucken lassen. Laschet und de Maizière sprechen vom christlichen Menschenbild. Dieses gehe eben davon aus, daß jeder Mensch unabhängig von ethnischer Herkunft, Religion, Geschlecht, Nationalität ein Geschöpf Gottes sei, mit gleicher Würde. Christliches Menschenbild bedeute zudem, dass jeder als Individuum Verantwortung für sein Leben trage und Freiheitsrechte habe. Dennoch sei ein Mensch immer auch auf die Gemeinschaft bezogen und benötige ihre solidarische Unterstützung. Gerade am Anfang und Ende seines Lebens sei ein Mensch auf Hilfe angewiesen, auch wenn er in Notlagen gerate. Konkret zeige sich dieses Prinzip etwa in der Pflegeversicherung. Auf diesem Grundgedanken beruhe auch die soziale Marktwirtschaft. Vor dem Hintergrund dieses Menschenbildes habe zudem die Familie eine besondere Bedeutung. Die Werte, die sich aus dieser Vorstellung heraus ableiten, in die tägliche Politik zu übersetzen, das sei Aufgabe der Christen. Eine erste, grundsätzliche Ableitung war und ist noch das Grundgesetz.
Gelten diese Vorstellungen auch für Muslime oder Anhänger anderer Religionen? Die Vorstellungen gewähren und garantieren Freiheit, weshalb diese Gesellschaft das freiheitliche Grundgesetz auch als Leitkultur postulieren kann. Wer diese Sicht nicht teilt, steht abseits. Sind es viele, kommt es zu Parallelgesellschaften. Wer der Mehrheitsgesellschaft eine andere Sicht aufzwingen will, verhält sich feindlich zu ihr und folgt einem anderen Menschenbild, hat mithin eine andere Leitkultur. Das ist im orthodoxen Islam der Fall. De Maiziere sagt zwar, die Religion sei „Kitt und nicht Keil der Gesellschaft“ und dieser Kitt entstehe auch in Moscheen. Aber wenn er betont, daß Deutschland im religiösen Frieden lebe und „die Grundlage dafür ist der unbedingte Vorrang des Rechts über alle religiösen Regeln im staatlichen und gesellschaftlichen Zusammenleben“, dann weist er den Islam auch in die Schranken der deutschen Leitkultur. Denn in islamischen Ländern steht das religiöse Recht über dem zivilen Recht, ja es gibt keine Trennung zwischen Kirche und Staat – der Fachbegriff für diese Einheit lautet din wa daula. Der Vorrang der Scharia steht sogar als Vorbehalt in den meisten Verfassungen islamischer Staaten. Die Scharia kennt die fundamentale Gleichheit aller Menschen nicht. Deshalb ist keines der 57 Länder der Islamischen Liga eine Demokratie, denn Demokratie setzt diese Gleichheit voraus. Allein der Wert-Unterschied zwischen Mann und Frau machen den Islam inkompatibel mit einer Demokratie – was nicht heißt, daß Muslime nicht friedlich in Demokratien leben könnten.
Die neu anhebende Debatte um Immigration und Integration der Zuwanderer greift zu kurz, wenn sie sich nur bei Quoten und fachlichen Qualitäten der Zuwanderer aufhält. Ohne einen Beitrag zur geistigen Standortbestimmng wird das Problem der Integration nicht in den Griff zu bekommen sein. An der neuen Debatte scheiden sich die Geister. An ihr wird offenbar, wer eine wertkonservative oder eine nationalkonservative, wer eine libertäre Laissez-aller Linie, eine multikulturelle oder auch eine nur rein marktwirtschaftliche Linie verfolgt. Das Lager der wertkonservativen C-Politiker ist relativ klein im Vergleich zu den wertneutralen Politikern. Die nationalkonservativen Kräfte scheinen von der AfD aufgesogen zu werden. Ein weiteres Lager bilden die linksliberalen, man könnte auch sagen die Kräfte des medialen Mainstreams. Ihr Menschenbild ist kaum definierbar. Bundeskanzlerin Merkel könnte man dieser oder jener Richtung zuordnen. In jedem Fall ist die Zuwanderungsfrage und die Frage nach einer Leitkultur in Europa eine Frage nach der Zukunft und dem Zusammenhalt der Gesellschaft in Deutschland. Friedrich Merz formulierte es schon im Jahr 2000 als Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: „Zuwanderer, die auf Dauer hier leben wollen, müssen sich einer gewachsenen, freiheitlichen deutschen Leitkultur anpassen.“ Norbert Lammert, der scheidende Bundestagspräsident, sagte es so: „Wir brauchen – mit oder ohne diesen Begriff – eine Leitkultur, weil eine Gesellschaft Vielfalt nur erträgt, wenn es ein Maß an Gemeinsamkeit gibt, das nicht zur Disposition steht.“
Kann das Grundgesetz dieses Maß an Gemeinsamkeit garantieren? Kann der orthodoxe Islam sich einer Verfassung unterwerfen, die den Geist der Gewissensfreiheit atmet? Es gibt bekanntlich die Ambivalenz der islamischen Grundtexte, aus dem Koran können demokratiewillige und friedfertige ebenso eine Legitimation herauslesen wie die radikalen Unterwerfer. Der französische Orientalist und Soziologe Gilles Kepel warnt in seinem jüngsten Buch („Der Bruch –Frankreichs gespaltene Gesellschaft“) in diesem Sinn vor dem radikalen Islam. Dieser könne die Gesetze der freien Welt nicht anerkennen. Dennoch mache sich ein Teil des traditionellen französischen Establishments mit dem Islam gemein, wolle ihn sogar benutzen, um eine neue Klammer für den Staat zu formen. Dieser Teil des politisch-medialen Establishments stehe in der Tradition des reformistischen Sozialismus. Zu ihnen kann man auch den neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron zählen, seinen Vorgänger und Förderer Francois Hollande sowieso. In Frankreich ist der Laizismus in seiner Form als agnostisch-fremde Einstellung gegenüber jeder Religion in der Tat eher in sozialistisch-kollektivistischen Denkgebäuden zuhause als bei Konservativen. Linke Politiker neigten, so Kepel, dazu, religiöse Elemente zu relativieren und sich des Islams anzunehmen als Teil der westlichen Gesellschaft, ohne den totalitären Kern dieser religiösen Ideologie wahrzunehmen. Der politischen Klasse in Deutschland wirft er diesbezüglich im besten Fall Naivität vor, hier und da auch ein gewisses Maß an Komplizenschaft mit den Vertretern des Islam in Deutschland. Kepel schreibt: „Das erinnert an die Schöngeister der Weimarer Republik, die Mein Kampf bei seinem Erscheinen im Jahr 1925 für die exaltierten Fantastereien eines talentlosen Malers hielten, oder an die reformistische Intelligenzija des ausgehenden Zarismus, die in Lenins Schrift Was tun? von 1902 die Dummheiten eines vom Kaiser manipulierten Doktrinärs sahen“. Und er warnt: „Es stimmt zwar, dass diese sozialen Phänomene der Gewalt eigenen Logiken gehorchen und oft mit den Lebensbedingungen marginalisierter Bevölkerungsgruppen in Zusammenhang stehen und mit der instabilen psychischen Verfassung der Täter. Aber dennoch ist es die Ideologie, die erst ein Aktionsbewußtsein weckt und die Art der Tat bestimmt, die die Grenzen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft und deren Feinde definiert und sogar den Modus der Vernichtung dieser Feinde regelt“.
Kepel zeigt auf, daß bei der Linken Schuldkomplexe wegen der kolonialen Vergangenheit zu Verdrängungsmechanismen geführt hätten, die blind machten gegenüber den totalitären Gefahren des Islam. Mehr noch, die Linke sehe in den Muslimen der Banlieus und im Islam allgemein ein neues Proletariat. Kepel folgert: „Sie werden als abstrakte und einheitliche Kategorie verstanden, deren soziale, kulturelle oder gar religiöse Ausdifferenzierungen, wie es sie in jeder menschlichen Gemeinschaft gibt, außer Acht gelassen und für den islamistischen Ausdruck einer Minderheit gehalten werden, die die Slogans der Salafisten, Muslimbrüder und Dschihadisten vermischt und deren Authentizität umso größer ist, als sie den Westen anprangert“. Das Ideal einer heilen multikulturellen Gesellschaft mache es den Radikalen leicht. Die totalitäre dschihadistische Weltanschauung ziele auf „Europa, den weichen Unterleib des Westens“, getreu „dem Aufruf zum weltweiten islamischen Widerstand, den der syrische Ingenieur Abu Musab al Suri 2005 ins Netz stellte“. Al Suri ist ein Beispiel dafür, was passieren kann, wenn es keine starke Leitkultur gibt. Er ist, so Kepel, „ in Frankreich ausgebildet worden, in Spanien eingebürgert und lange in Londonistan wohnhaft gewesen, um die Jahrtausendwende ein Hafen für Islamisten aus der ganzen Welt“.
Man könnte hier und da gewisse Parallelen ziehen zur Islam-Diskussion in Deutschland. Nun hat jede Gesellschaft der freien Welt ihre eigenen Brüche, historische, soziale, politische. Das ist Folge des freiheitlich-pluralistischen Systems. Es ist Folge der unterschiedlichen religiösen und kulturellen Beziehungen. Es ist Folge rechtlicher Entwicklungen. Die Frage ist aber, ob diese Brüche so tief sind, daß die Klammer der Gesetze und juristischen Verfassung des Staates nicht mehr ausreicht, um die Gesellschaft zusammenzuhalten. Hier muss die Leitkultur ansetzen. Wenn die Verfassung das Skelett des Volkskörpers ist, dann ist die Leitkultur seine Haut.
Es geht dabei nicht um kulturelle Besitztümer. Beethovens Fünfte gehört allen. Mozarts kleine Nachtmusik hat kein Vaterland. Mona Lisa und andere Kunstwerke, Bauten oder Denkmäler sind Kulturerbe der Menschheit. Aber die Menschheit und ihre Welt sind ein Mosaik, zusammengesetzt aus unterschiedlichen Kulturen. Es ist nicht alles überall gleich-wertig, die absolute Selbstverständlichkeit, daß Frauen Auto fahren, wird gerade in Saudi-Arabien als große Errungenschaft gefeiert. Sicher, es gibt Grundlinien, Prinzipien des Zusammenlebens, etwa das konjugale Prinzip und die daraus folgende anthropologische Konstante von Ehe und Familie. Aber ihre historischen Entwicklungen und Ausformungen, ihre rechtlichen und religiösen Prägungen machen den Unterschied. Entscheidend bleibt die Bereitschaft, wenn nicht in Frieden so doch wenigstens gewaltlos zusammenleben zu wollen und den anderen zu achten. Das ist umso eher möglich, wenn man einen eigenen Standpunkt hat. „Wer sich seiner Leitkultur sicher ist, ist stark“, schreibt de Maizière. Mit anderen Worten: Wer sich seines Glaubens sicher ist, wer ihn kennt, lebt und bekennt, der ist stark genug für den Austausch mit anderen Kulturformen. Insofern ist die neu aufkommende Leitkulturdebatte in Europa auch ein Appell an die Völker, ihr jeweils kulturelles Erbe wieder zu entdecken und es als Teil des aktuellen Lebensmodells zu bewahren. Um es mit einer der Thesen von de Maizière zu sagen: „Für die Trennung der christlichen Kirchen hat Europa, hat Deutschland einen hohen Preis gezahlt. Mit Kriegen und jahrhundertelangen Auseinandersetzungen. Deutschland ist von einem besonderen Staat-Kirchen-Verhältnis geprägt. Unser Staat ist weltanschaulich neutral, aber den Kirchen und Religionsgemeinschaften freundlich zugewandt. Kirchliche Feiertage prägen den Rhythmus unserer Jahre. Kirchtürme prägen unsere Landschaft. Unser Land ist christlich geprägt. Wir leben im religiösen Frieden. Und die Grundlage dafür ist der unbedingte Vorrang des Rechts über alle religiösen Regeln im staatlichen und gesellschaftlichen Zusammenleben“. Dieser Primat muss von allen, die hier leben (wollen), anerkannt werden, wenigstens expressis verbis. Das ist Voraussetzung sine qua non. Ohne diese Anerkennung ist eine Debatte über eine Leitkultur in Deutschland, zu der natürlich noch viele andere Aspekte als der religiöse gehören, schlicht sinnlos. Es ist eine das Wesen dieser politischen Religion betreffende und damit die zentrale Herausforderung an den Islam. Findet er keine Antwort kommt es zum Bruch.