Von Albert Wunsch
„Die Politik kann keine Kinder zeugen, aber diese wirkungsvoll verhindern.“ So eine Meldung des Heidelberger Büros für Familienfragen vor einiger Zeit. Auch können Gesetze und Verordnungen keinesfalls die elterliche Erziehung ersetzen, aber diese äußerst negativ oder positiv prägen. Es ist Allgemeingut: Der gesellschaftspolitische Faktor ist heute ein Dreh- und Angelpunkt förderlicher bzw. abträglicher Bedingungen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen. Aktuell mehren sich die Befunde, dass die klassische Familie in ihrem Lebensraum vielfältig behindert wird. So ist nach einer aktuellen Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung das „Kinderkriegen in Deutschland so unattraktiv wie nie zuvor“. Den Deutschen seien Beruf, Freunde und Hobbys wichtiger als die Gründung einer Familie. Kinder verlieren immer mehr an Bedeutung. Auch das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 20.7.2017 verdeutlicht, dass zwar von Eltern eine solide Kinder-Erziehung erwartet wird, die Richter darin aber keinen Anspruch auf einen Elternbonus bei der Rente ableiten. Die Konsequenz: Eltern stecken viel Zeit und Geld in die Erziehung ihrer Kinder – zahlen aber genauso viel in die Renten- und Krankenversicherung ein wie Kinderlose. Das löst bei vielen Eltern Resignation aus: ‚Als Mutter bist du nichts wert und auch zu dumm, Kinder ordentlich zu erziehen und zu fördern. Erst wenn ich die Kinder meiner Freundinnen dazu nehme und mich als Tagesmutter betätige, erhält meine Arbeit einen gesellschaftlich-finanziellen Wert’.
Wird jedoch der Stellenwert von Kindern und einer verantwortungsbewussten elterlichen Erziehung immer geringer, fehlen gleichzeitig auch jene Voraussetzungen, die für die Entwicklung von Resilienz und Selbst-Wirksamkeit erforderlich sind. Denn wenn Beruf, Freunde und Hobbys eine zu dominante Priorität erhalten, haben gute Bedingungen des Aufwachsens von Kindern kaum eine Chance. In der Folge werden dann Erziehung und Familie als ‚Gedöns-Thema‘, ‚Produktivitäts-Hindernis‘ oder ‚Spaß-Bremse‘ eingestuft. Eigenartig, wo der ‚Staat unterm Strich pro Kind 77.000 Euro bei höchst konservativer Berechnung verdient‘. Ob Produktion, Handel oder Dienstleistungen, die Existenz aller Unternehmen hängt von leistungsfähigen Menschen ab, einerseits als effektive Mitarbeiter und andererseits als zahlungsfähige Käufer.
„In der Welt gäbe es weniger Probleme, wenn sich Kinder nützlich statt lästig fühlen würden.“ (Alfred Adler). So entscheidet das gesellschafts-politische Klima darüber, ob Erziehungs-Leistungen vorrangig als Stör- bzw. Kosten-Faktor oder als Absicherungs-Faktor des eigenen wirtschaftlichen und politischen Überlebens gesehen werden. Würde berücksichtigt, dass Familien durch die Erziehung nachwachsende Produzenten und Konsumenten ‚schaffen‘, müsste in diesen Bereich genauso wie in die Entwicklungs- oder Personalabteilungen von Betrieben investiert werden. Denn neben preiswerten Rohstoffen oder gut funktionierenden Maschinen kommt den Menschen als ‚Human-Resource‘ die größte Bedeutung zu. Ob Produktion, Handel oder Dienstleistungen, die Existenz aller Unternehmen hängt von leistungsfähigen Menschen ab, einerseits als effektive Mitarbeiter und andererseits als zahlungsfähige Käufer.
Staaten sind demnach so innovativ, funktionsfähig bzw. erfolgreich – und damit politisch stabil – wie sie es schaffen, sich eine möglichst optimale miteinander abgestimmte oder wenigstens tolerierte Werte-Basis zu geben. Je größer die Freiräume in Beruf, Partnerschaft, Familie, Freizeit und Gesellschaft, desto umfangreicher sind Entscheidungen zu treffen, muss Selbstverantwortung deutlich werden. Das erfordert starke Persönlichkeiten. Und ‚Zweidrittel der Lebensprägung erhalten Kinder in der Familie‘, so Prof. Dr. Fthenakis auf dem Heidenheimer Erziehungs-Congress 2012, ob nun positiv oder auch negativ. Daher sollte hier eine wirkungsvolle – auch finanzielle – Förderung des Staates anzusetzen, um durch ‚satte‘ Bindungs-Erfahrungen Lebenserfolg zu generieren. Fthenakis weiter: „Von Bildung und Erziehung wird es wesentlich abhängen, ob die heranwachsenden Generationen den Ansprüchen, Herausforderungen und Belastungen gewachsen sein werden, mit denen sie in der Welt von morgen konfrontiert sind. Dies gilt für Kinder und Jugendliche und für das System Familie in gleicher Weise.“– „Deshalb benötigen wir visionäre, mutige, reformwillige, über die Legislaturperiode hinausblickende und entschlossene Politiker. Und ein Volk, das ihnen deshalb und immer wieder das Vertrauen ausspricht“.
Die „Freiheit, etwas zu tun, und die Verantwortung, für etwas geradezustehen“, dürfen sich nicht entkoppeln, so Bundespräsident Joachim Gauck beim „Führungstreffen Wirtschaft 2012“. Ein Staat, dem es jedoch selbst an Rückgrat mangelt, wird diesen Weg zu mehr Selbstverantwortung und personaler Stärke kaum fördern können. Denn wenn die gesellschaftlichen Entscheidungsträger in Politik und Medien wegen mangelhafter Ich-Stärke dazu tendieren, sich beim Volk anzubiedern, eigene Beziehungsbrüche oder wirtschaftliche Interessen zum Maßstab einer ‚modernen‘ Familienpolitik zu erklären, dann wird schnell das Eigenwohl über das Gemeinwohl gestellt. Verstärkt wird eine solche Tendenz, wenn ‚sich die Political Correctness wie Mehltau über den notwendigen demokratischen Austausch legt‘ (Birgit Kelle) und wichtige Fakten nicht mehr als solche benannt, sondern stattdessen verschleiert werden.
So macht beispielsweise der Familienbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2012 mit dem Titel „Zeit für die Familie“ unmissverständlich deutlich, „dass Eltern mehr Zeit im Umgang mit ihren Kindern, und nicht mehr Geld wollen“. Wer diese Passage jedoch öffentlich herauszustellen versucht, wird sogleich durch sich korrekt gebarende Meinungsmacher disqualifiziert. Eindeutig positioniert sich der Erfolgsautor Michael Winterhoff mit seinen Einlassungen zur aktuellen Politik: „Wir halten uns zwar für die freieste Gesellschaft, die es je gab, sind aber zumindest in Teilen die unfreieste, die es je geben kann, weil wir nicht mehr über uns selbst bestimmen.“ Und Roland Tichy, Gründer und Chef des Portals Tichys Einblick, merkt überspitzend an, „dass Sozialpolitik nur eine moderne Form der Stallhasenhaltung ist, in der die Insassen Selbstverantwortung und Freiheitsrechte gegen den Anspruch auf Fütterung eintauschen und die Sozialbürokratie zum gesellschaftlichen Hegemon wird“.
„Zuviel Ich, zu wenig Wir!“ Auch wenn diese Überschrift einst auf Flügelkämpfe innerhalb der FDP bezogen war, sie scheint auch das von Vielen gelebte Miteinander treffend zu beschreiben. So muss sich jede Gesellschaft den aktuellen Herausforderungen stellen, den Zeitgeist – ohne ihm dumpf zu folgen – zur Kenntnis nehmen, eigene Antworten finden und dann gezielt Gutes verstärken oder Schlechtes stoppen. Da sich das Leben in einer Spaß- und Konsumgesellschaft an der leicht erreichbaren Annehmlichkeit bzw. einer Jetzt-und-sofort-Mentalität orientiert, wirkt sich dies logischer Weise auch auf den Umgang mit Kindern aus. Im Leitsatz ‚Lernen muss Spaß machen‘ präsentiert sich dieser Beurteilungs- und Handlungs-Rahmen. ‚Genuss pur‘, und ‚Mithalten wollen‘ heißt die Maxime. Die Lebenserfahrung ‚Ohne Fleiß (und Anstrengung) kein Preis‘ wird so weitestgehend aus dem Lebensalltag verbannt. Eine Vermittlung zukunftstauglicher Werte an die nachwachsende Generation gerät dabei ins Abseits. Dies manifestiert sich in dem Phänomen „Wir haben genug, wovon wir leben können, aber zu wenig, wofür“, so formulierte es der Wiener Psychotherapeut Viktor E. Frankl in dem Buch: „Wer ein Warum zu leben hat. Lebenssinn und Resilienz“ .
Dieser Denkansatz wird durch die modernen sozialen Sünden der Menschheit, wie sie Mahatma Gandhi aufzählte, konkretisiert. Er beschreibt folgende Merkmale:
• Politik ohne Prinzipien
• Geschäfte ohne Moral
• Reichtum ohne Arbeit
• Erziehung ohne Charakter
• Wissenschaft ohne Menschlichkeit
Bezogen auf die Bedingungen des Aufwachsens von Kindern in ihren Familien bedeutet das: ‚Politik ohne Prinzipien‘ und ‚Geschäfte ohne Moral‘ sind keine Basis zum Erlernen einer ethisch vertretbaren Selbstverantwortung. ‚Reichtum ohne Arbeit‘ führt zur Anstrengungs-Verweigerung mit der Folge, wichtige Lebenskompetenzen nicht zu erlernen. Eine ‚Erziehung ohne Charakter‘ kann kein starkes emotional-soziales Selbst wachsen lassen. ‚Wissenschaft bzw. Wissensvermittlung ohne Menschlichkeit‘ verhindert die Entstehung von Empathie, fördert eine kalte – evtl. machtvoll inszenierte – Fakten-Nutzung und begünstigt Kriminalität. Der Spruch ‚Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist‘ würde auf diesem Hintergrund lauten: ‚Lass mich beobachten, in welchem gesellschaftspolitischen Klima du aufwächst, und ich sage dir, wie resilient und kompetent du bist.‘