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Arbeit und gesellschaftliche Anerkennung

By 5. Januar 2014März 24th, 2022No Comments

Diejenigen, die in der Erwerbsarbeit Lebenssinn nicht nur suchen, sondern auch finden, bilden überall eine kleine privilegierte Minderheit. Jeder Einzelne sollte schon um seiner selbst willen bestrebt sein, dieser Minderheit anzugehören, und die Gesellschaft sollte sich bemühen, sie zur Mehrheit werden zu lassen. Dabei sollte sie jedoch nie vergessen, dass das heutige Arbeitsverständnis des Westens ein Kunstprodukt ist, das von historisch determinierten und definierten Bedingungen abhängt. […] Vielleicht hilft diese Einsicht dem Westen, sein Verhältnis zu Arbeit und Erwerb zu entkrampfen. […] Zur Entkrampfung gehört schließlich, dass der Westen die überaus künstliche Scheidung von Erwerbsarbeit und sonstiger Arbeit beendet und alle Arbeitsformen als gleichwertig anerkennt. Es ist falsch, bezahlter Arbeit einen gesellschaftlich höheren Rang einzuräumen als nicht bezahlter. Umgekehrtes Vorgehen ist sachgerechter. Denn die Erwerbsarbeit wird ja bereits entlohnt. Sie muss darüber hinaus nicht noch gesellschaftlich geadelt werden. Wenn Arbeit zu adeln ist, dann die unentgeltliche oder schlecht bezahlte. Eine Gesellschaft ist in die Irre gegangen, wenn Menschen in den Erwerb drängen, nur um von ihren Mitmenschen anerkannt zu werden.

Meinhard Miegel: Epochenwende. Gewinnt der Westen die Zukunft? Berlin 2007, S. 254-255